FOPI.flash Oktober 2021
In dieser Ausgabe
- Editorial: Welche Qualität der Arzneimittel-Versorgung will Österreich für seine PatientInnen?
- Innovation Journey: Der schwedische Weg der Zusammenarbeit
- Zahl des Monats: 282 Tage
- Podcast: Am Mikro|skop – Originalmedikamente versus Biosimilars versus Generika
- Ausbildung: Zertifikatslehrgang Gesundheitsjournalismus – Know-how für fundierte Berichte
- Blog: Österreich, du Land der Daten?
- FOPI Führungspersönlichkeiten im Gespräch: André Brethous, Servier Austria
Editorial
Welche Qualität der Arzneimittel-Versorgung will Österreich für seine PatientInnen?
Wo wären wir heute, wäre nicht in Rekordgeschwindigkeit eine Impfung gegen Sars-COV-2 entwickelt worden? Wir würden vermutlich noch im Lockdown sitzen, wo jeder Tag dem Land 190 Mio. EUR kostet. Medizinische Innovationen haben aber nicht nur einen riesigen Anteil an der Bewältigung der Pandemie und der Wiederherstellung des Alltags, sie sorgen auch dafür, dass der medizinische Standard (= Standard-of-Care) angehoben wird und die Menschen dadurch in Österreich bestmöglich versorgt werden können. Viele Erkrankungen, die vor nicht allzu langer Zeit als tödlich galten, haben Dank innovativer Arzneimittel viel von ihrem Schrecken verloren.
Klinische Studien in Österreich durchzuführen ist für den medizinischen Fortschritt besonders essenziell, da über sie nicht nur medizinische Therapien weiterentwickelt werden, sondern auch heimische ÄrztInnen in den neuesten medizinischen Entwicklungen ausgebildet werden. Doch während in anderen Ländern Europas sich die Zahl der Studienprojekte zwischen 2016 bis 2019 um fast 10 % erhöht hat, ist der Wert in Österreich seit drei Jahren stabil, über die letzten 10 Jahre sogar rückläufig.
Innovation wird in Österreich quasi bestraft
Sorgen machen muss man sich in Österreich aber nicht nur um den Innovationsstandort. Erstattung und somit Zugang zu neuen und besseren Therapien gibt es in Österreich deutlich später und eingeschränkter als bei den europäischen Nachbarn – was die Zahl des Monats verdeutlicht. Das liegt mitunter daran, dass Aspekte wie Lebensqualität, Verträglichkeit oder Anwendernutzen zwar für die PatientInnen eine große Rolle spielen, bei der Bewertung von Innovationen aber nicht berücksichtigt werden – und somit Investitionen in die Erforschung neuer therapeutischer Anwendungsgebiete (Indikationserweiterungen) oder in bessere Darreichungsformen bei der Erstattung durch einen kräftigen Preisabschlag quasi sogar bestraft werden.
Lösen ließe sich dieses Problem über eine europaweit verbindliche Nutzenbewertung nach einem objektiven Kriterienkatalog parallel zum Zulassungsprozess. Das innovationsfeindliche österreichische Kuriosum, Nutzenbewertung und Preisfindung von derselben Institution definieren zu lassen, würde damit obsolet werden. Wichtig ist auch das Vergleichen eines Nutzens mit Vergleichbarem, also etwa nicht mit einem älteren und nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft befindlichen und somit auch günstigen Produkt, sondern mit einem ebenfalls innovativen Produkt, der aktuellen „state of the art“-Behandlung. Für die Bewertung können hier vielfach auch Head-to-Head-Studien herangezogen werden, mit Hilfe derer das adäquate Vergleichsprodukt (Komparator) festgelegt werden kann.
Der Einsatz innovativer Therapien zum Wohl der PatientInnen rechnet sich übrigens auch wirtschaftlich, wenn man nämlich die Kosten für das Gesundheitssystem ganzheitlich bemisst und auch die für den SteuerzahlerInnen teuren indirekten Effekte hinzurechnet, wie etwa Auswirkungen auf Beschäftigung oder Pflege. Deshalb stellen wir die Frage: Welche Qualität der Arzneimittel-Versorgung will Österreich für seine PatientInnen?
Bernhard Ecker, Tuba Albayrak & Wolfgang Kaps
Präsidium des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)
© Jens Ayton
Innovation Journey durch Europa – wo gelingt der Zugang zu Innovation besonders gut?
Der schwedische Weg der Zusammenarbeit
Wie kommt es, dass Schweden etwa 10 Prozent seines BIP für die Gesundheitsversorgung ausgibt und dennoch Länder mit viel höheren Ausgaben übertrifft? Einen Beitrag dazu leistet die 2010 gegründete Initiative von schwedischer Regierung und Industrie namens „Symbiocare – Health by Sweden“. Ein Bericht aus Schweden, der dritten Station der Innovation Journey durch Europa.
Symbiocare ist eine Kommunikationsplattform, die von Business Sweden und der Swecare Foundation betrieben wird und die Kollaboration zwischen Behörden, Hochschulen, dem Gesundheitswesen sowie der pharmazeutischen Industrie fördert. Grundlage ist die Überzeugung der EntscheidungsträgerInnen, dass das schwedische Gesundheitssystem im Wesentlichen auf die Symbiose zwischen Leistungserbringern, Wissenschaft und Industrie angewiesen ist.
Dahinter steht das übergeordnete Ziel der schwedischen Gesundheitspolitik, eine bedarfsgerechte, zugängliche und wirksame Versorgung für alle und zu erschwinglichen Kosten zu bieten. Den Weg dorthin sieht man in der Tradition der Zusammenarbeit. „Wir tun dies, indem wir Einblicke in das schwedische Gesundheitssystem gewähren und den Kontakt erleichtern. Wir wollen lernen und Erfahrungen, Methoden und Know-how weltweit austauschen, denn wir glauben, dass Zusammenarbeit der Schlüssel zu einer erstklassigen Gesundheitsversorgung für alle ist“, lautet die deklarierte Mission von Symbiocare.
Innovation dank Kollaboration
Ein Beispiel und Vorzeigeprojekt ist die Entwicklung optimierter Abläufe und IT-Tools für die digitale Pathologie durch das schwedische Medizin-IT-Unternehmen Sectra in Zusammenarbeit mit dem Center for Medical Image Science and Visualization (CMIV) an der Universität Linköping, dem industriellen Forschungsinstitut Swerea IVF sowie neun Bezirksverwaltungen und Pflegeeinrichtungen.
Die diagnostische Pathologie ist von entscheidender Bedeutung für Therapieentscheidungen, insbesondere in der Krebsbehandlung. Aufgrund des Mangels an PathologInnen ist die Wartezeit auf den Pathologiebericht aber oft lang, was für die PatientInnen ein banges Warten und eine verzögerte Therapie zur Folge hat. Eine Verbesserung verspricht die Digitalisierung der Pathologie, indem die histologischen Proben gescannt werden, um digitale Bilder des Gewebes zu erstellen, die auf einem Computerbildschirm analysiert werden können. Zwar sind die PathologInnen nach wie vor für die Bewertung und Diagnose zuständig, doch die digitale Umgebung kann ein wertvolles Werkzeug für die Bildanalyse sein. Zudem verspricht man sich von der Digitalisierung des Arbeitsablaufs einen besseren Überblick über die Arbeitsbelastung, weniger Verwaltungsaufwand und kürzere Durchlaufzeiten. Die digitale Pathologie bietet weiters neue Möglichkeiten für die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern – sowohl auf regionaler als auch auf internationaler Ebene, da die digitalen Proben sofort verschickt werden können. Darüber hinaus werden gesundheitsökonomische Auswirkungen untersucht und Aspekte der Mensch-Computer-Interaktion erforscht. „Wir glauben, dass die Digitalisierung der Arbeitsabläufe in der Pathologie das Potenzial hat, sowohl die Effizienz als auch die Qualität der Versorgung zu steigern“, sagt Claes Lundström, Assistenzprofessor an der Universität Linköping, LiU.
Zahl des Monats
282 Tage
dauert es in Österreich im Durchschnitt, bis innovative Arzneimittel nach Zulassung verfügbar sind. In Deutschland liegt dieser Wert bei 50 Tagen.
Quelle: IQVIA, EFPIA Patients WAIT Indicator Survey, April 2021.
© Augenblick Stainz / mattobserve
Podcast
Am Mikro|skop – Originalmedikamente versus Biosimilars versus Generika
Sind Originalmedikamente besser als Generika? Sind Generika der Garant für ein leistbares Gesundheitssystem? Sind Biosimilars die Zukunft? Oder ist die gesamte Diskussion verkehrt? Im Licht der Diskussion über die Kosten des Gesundheitssystems und damit auch der Medikamentenkosten braucht es das gesamte Spektrum – meinen die Diskutanten der vierten Episode von Am Mikro|skop. Diesmal mit Ilse Bartenstein, Vorsitzende des Pharmaausschusses im Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO), und Bernhard Ecker, Präsident des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI). Im Gespräch mit Corinna Milborn sind sie sich einig: Österreich braucht planbare Rahmenbedingungen und eine faire Erstattung für die Arzneimittelproduktion. Nur so werden Ressourcen für die dringend benötigte Forschung frei. Diese und alle anderen Episoden des – gemeinsam mit dem Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) und Chemiereport/Austrian Life Sciences produzierten – Podcasts finden Sie hier: www.chemiereport.at/am-mikroskop.
© Freepik
Ausbildung
Zertifikatslehrgang Gesundheitsjournalismus – Know-how für fundierte Berichte
Impfdebatte, PatientInnenrechte, die Entstehung eines Medikaments oder medizinische Prävention: Gesundheitsthemen werden vielschichtiger. Sie korrekt wieder zu geben, wird daher für JournalistInnen auch immer schwerer. Hier setzt der von PHARMIG und FOPI initiierte Zertifikatslehrgang Gesundheitsjournalismus am Kuratorium für Journalistenausbildung an. Themen der vier Module sind: „Player und Strukturen im Gesundheitswesen“, „Forschung in Österreich“, „Medikamente – vom Produzenten zum Patienten“ sowie „Verteilungsgerechtigkeit und Ressourceneinsatz im Gesundheitswesen“. Die Patronanz hat Gesundheits- und Wirtschaftsjournalist Martin Rümmele. https://www.kfj.at/seminare/zertifikatslehrgang-gesundheitsjournalismus/
© Sophie Wagner
Blog
Österreich, du Land der Daten?
Die COVID-19-Pandemie hat mit ihren Auswirkungen und ihrer Geschwindigkeit nicht nur die Macht von Daten als einen entscheidenden Faktor im Krisenmanagement freigesetzt, sondern auch verdeutlicht, wie groß der Nutzen für das Gemeinwohl einer Gesellschaft ist und wie relevant es für den Bereich Forschung und Entwicklung ist, vorhandene Daten gut nützen zu können. Diese Erkenntnis ist wichtig, doch leider wurde der Datenschatz in Österreich weder gefunden oder ausgegraben, noch fließen die Daten länderübergreifend gewachsener Strukturen so zusammen, wie es sich alle Systempartner wünschen würden, schreibt Christoph Bollenbach, Novartis, in seinem aktuellen Blogbeitrag. Lesen Sie mehr im neuen FOPI.Blog!
© B2B Foto
FOPI Führungspersönlichkeiten im Gespräch
André Brethous: Innovationen bringen hohen Mehrwert
Wie in vielen Ländern müssen wir uns auch in Österreich intensiv mit der Frage beschäftigen, wie wir mit Innovationen im Gesundheitsbereich umgehen, die einen hohen Preis haben, auf längere Sicht aber für das Gesundheitssystem und gesamtgesellschaftlich einen hohen Mehrwert bringen, meint André Brethous, Managing Director Servier Austria, im Interview mit FOPI.flash.
Was schätzen Sie am österreichischen System?
Ich habe nun schon einige Jahre in Wien gelebt und konnte in dieser Zeit auch persönlich, unter anderem bei der Geburt meines Sohnes, die Vorzüge des österreichischen Gesundheitssystems kennen lernen. Besonders schätze ich den freien und effizienten Zugang zu einer hoch-qualitativen Gesundheitsversorgung. So können PatientInnen den Arzt ihres Vertrauens frei wählen, und es gibt in der Regel nur sehr kurze Wartezeiten. Die Versorgungsdichte ist sehr hoch. Dies gilt auch bei der Anzahl der Intensivbetten, was in den letzten Monaten besonders wichtig war.
Sie konnten internationale Erfahrungen sammeln und haben zweifellos einen differenzierten Blick auf den österreichischen Gesundheitssektor. Welche Trends nehmen Sie wahr? Wie wird der Wert von Arzneimittel-Innovationen gesehen?
Wie in vielen Ländern müssen wir uns auch in Österreich intensiv mit der Frage beschäftigen, wie wir mit Innovationen im Gesundheitsbereich umgehen, die einen hohen Preis haben, auf längere Sicht aber für das Gesundheitssystem und gesamtgesellschaftlich einen hohen Mehrwert bringen. Der österreichische Gesundheitssektor ist im internationalen Vergleich sehr offen für nachweislich effektive Innovationen. Die PatientInnen haben hier die Möglichkeit, sehr schnell von den neuesten Medikamenten zu profitieren. Dies wird im Interesse der PatientInnen von einer regelmäßigen Preiskontrolle gestützt.
Können Sie über ein Beispiel aus Ihrem unmittelbaren Bereich berichten, das sinnbildlich für Ihre Einschätzung stehen kann?
Unser Portfolio mit innovativen Medikamenten, insbesondere im Bereich Onkologie, soll in den kommenden Jahren weiter wachsen – durch Entwicklungen aus der eigenen Forschung sowie in Zusammenarbeit mit akademischen und industriellen Partnern. Klinische Forschung ist eine wertvolle Investition in die Zukunft. Zusätzlich brauchen wir Real World Daten, also vorhandene Gesundheitsdaten, um z.B. den Verlauf oder die Risikofaktoren von Krankheiten besser einschätzen zu können. Die Nutzung dieser Daten könnte, unter sorgfältiger Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses, optimiert werden.
Was müsste getan werden, damit die Versorgung heimischer PatientInnen mit innovativen Arzneimitteln für die Zukunft sichergestellt ist?
Die österreichische Pharmaindustrie nimmt die aktuellen Herausforderungen sehr ernst und sucht nach nachhaltigen Lösungsansätzen. Ich bin überzeugt, dass wir weiterhin gemeinsam mit allen Stakeholdern gute Ideen entwickeln werden, um die Gesundheitsversorgung auch zukünftig sicherzustellen und das gesamte Gesundheitssystem nachhaltig auszurichten.
Über Servier
Servier ist ein internationales, forschendes Pharmaunternehmen, das als gemeinnützige Stiftung geführt wird. Entsprechend unserem Leitbild stellen wir die Bedürfnisse von Patienten und Innovationen in den Mittelpunkt aller Aktivitäten. Servier investiert über 20 % des Umsatzes jährlich in Forschung und Entwicklung – zusätzlich haben wir hohe Investitionen in unser neues Innovations- und Forschungszentrum in Paris-Saclay investiert.
Das Unternehmen erstreckt seine internationale Präsenz über 150 Länder und beschäftigt etwa 22.500 MitarbeiterInnen, davon rund 50 MitarbeiterInnen in Österreich. Die wichtigsten Indikationsgebiete sind: Onkologie, Neurologie, immunentzündlichen Erkrankungen sowie Herz-Kreislauf und Diabetes.