FOPI.flash August 2023

In dieser Ausgabe

Editorial

Offen für neue Ansätze

Künstliche Intelligenz ist in nahezu allen Lebensbereichen zum Thema geworden. Sie revolutioniert industrielle Prozesse. Sie prägt Verkehrs- und Mobilitätsplanungen. Sie ist aus dem Online-Shopping nicht mehr wegzudenken. Und sie hat nicht zuletzt die Kommunikation und damit unser aller Alltag verändert. Wer hat nicht in den letzten Monaten Tools wie ChatGPT ausprobiert? Wer wundert sich nicht über Fotos, die eine vermeintliche Realität abbilden?

Auch die medizinische und pharmazeutische Forschung kommt an künstlicher Intelligenz nicht vorbei. Doch ist sie dabei Fluch oder Segen? Wir möchten mit drei Beispielen zeigen, welches Potenzial gerade in diesem Sektor Artificial Intelligence eröffnet. Lesen Sie dazu gleich den ersten Beitrag!

Eines dieser Beispiele fokussiert auf klinische Studien, welche uns als forschende Pharmaunternehmen mit Standort Österreich besonders am Herzen liegen. Denn die Rahmenbedingungen dafür werden von Expert:innen hierzulande zunehmend als Schwachpunkt wahrgenommen. Lange Zeit galt Österreich dank kluger Köpfe und guter Infrastruktur als exzellenter Studienstandort. Doch durch Änderungen des rechtlichen Rahmens auf EU-Ebene hat Österreich seinen Vorsprung als „fast mover“ verloren und ist damit für internationale klinische Prüfungen weniger attraktiv geworden. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz könnte hier neue Möglichkeiten eröffnen.

Deshalb sollten wir in die Digitalisierung investieren und die Chancen, die Künstliche Intelligenz bei klinischen Studien bietet, nützen. Klinische Forschung ist die Grundlage für Innovation, und Innovationen bilden die Basis, um Patient:innen mit chronischen, schlecht behandelbaren oder gar unheilbaren Krankheiten neue Hoffnung zu bringen. Wir sind offen dafür.

Julia Guizani, Anthea Cherednichenko und Michael Kreppel-Friedbichler
Präsidium des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)

Forschung

Künstliche Intelligenz – Fluch oder Segen?

Krankheiten immer besser zu verstehen und wirksame Therapien zu entwickeln, daran arbeiten Forscherinnen und Forscher in der Pharmaindustrie jeden Tag. Dennoch vergehen von der Idee bis zur Zulassung eines Medikaments rund 13 Jahre. Künstliche Intelligenz kann ein Schlüssel sein, um diese Zeitspanne deutlich zu verkürzen. Ein Überblick.

Rasant wachsende Datenmengen, immer leistungsfähigere Computer und zunehmend klügere Algorithmen: Das sind die Zutaten für große Hoffnungen, die auch vor dem Gesundheitswesen nicht halt machen. Big Data und Künstliche Intelligenz sind dabei Schlagworte, die auch viele Prozesse rund um die Entwicklung von Arzneimitteln deutlich beschleunigen und effizienter machen könnten. Was das konkret bedeutet, zeigen forschende Pharma-Unternehmen schon heute.

Das personalisierte Literaturpaket

Jeden Tag erscheinen acht- bis zehntausend neue wissenschaftliche Publikationen – Tendenz steigend. Auch nur in einem Fachgebiet den Überblick zu behalten, wird da für die einzelnen Wissenschaftler:innen immer komlexer. Deshalb setzen immer mehr Forscher:innen in den Unternehmen auf die Hilfe einer Künstlichen Intelligenz. Mit speziell entwickelten Algorithmen fischen Data Scientists das jeweils Wichtigste aus dem weltweiten Ozean an Wissen heraus. So entstehen maßgeschneiderte Fachliteratur-Kollektionen, die Neues aus der eigenen Disziplin zusammenfassen und Einblicke in benachbarte Gebiete erlauben. Das erleichtert den Austausch über Fachgrenzen hinweg und stimuliert neue Ideen.

Bei klinischen Studien schneller zum Ergebnis

Klinische Studien sind aufwändig, langwierig und teuer. Deutliche Verbesserungen können sogenannte virtuelle Kontrollarme bringen. Bisher bekommt eine Gruppe von Patient:innen in klinischen Studien zusätzlich zur Standardtherapie die zu prüfende neue Therapie. Die Kontrollgruppe bekommt zusätzlich ein Scheinmedikament. Mit diesem Vergleich lässt sich die gegebenenfalls bessere Wirksamkeit des neuen Arzneimittels belegen. Diese Kontrollgruppe kann aber inzwischen in manchen Fällen mit bereits vorhandenen Patient:innendaten virtuell simuliert werden. Das ermöglicht kleinere Studien, bei denen Patient:innen nur die neue und womöglich bessere Therapie erhalten. Außerdem spart das sowohl Zeit als auch Kosten. Als Grundlage dienen Daten vergleichbarer Patient:innen, die außerhalb von klinischen Studien die übliche Behandlung erhalten haben.

Datenschatz aus Molekülen

Für die Entwicklung innovativer Arzneimittel sind forschende Pharma-Unternehmen stets auf der Suche nach neuen Wirkstoffen. Wie Datenalgorithmen und Roboter hier die Wissenschaftler:innen aus Fleisch und Blut bereits heute unterstützen, zeigen einige forschende Pharmaunternehmen. Statt wie bisher einen potenziellen Wirkstoff nach dem anderen zu untersuchen, erforschen die Wissenschaftler:innen mehrere zehntausend Substanzen parallel. Mithilfe künstlicher Intelligenz gelingt es, in kürzerer Zeit weitaus mehr Stoffeigenschaften zu erfassen als früher. Vielversprechende Moleküle für die Therapie können so umfassender, schneller und mit weniger Aufwand identifiziert werden. Im nächsten Schritt können die vielversprechendsten Moleküle punktuell weiter verändert werden, um Krankheiten gezielter und mit weniger Nebenwirkungen zu bekämpfen – auch dabei kann KI von Nutzen sein.

Quelle: vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen

Zahl des Monats

73

Tage braucht es, um das medizinische Wissen zu verdoppeln. Das macht deutlich, dass es neue Analysemethoden braucht, um Daten auszuwerten und zielgerichtet zu werden. Künstliche Intelligenz kann helfen, komplexe Muster aufzudecken, tiefere Einsichten zu erhalten und neue Erkenntnisse gewinnen.

Quelle: EY, August 2022 

© accelent communications

Podcast

Am Mikro|skop: Herz-Kreislauf-Erkrankungen – die stille Pandemie?

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Österreich die Todesursache Nummer 1. Dennoch passiert unverändert zu wenig, um die Ursachen zu bekämpfen. Wo müsste man ansetzen? Welche Rolle spielt medikamentöse Therapie, um der stillen Pandemie Herr zu werden? Und wohin geht die Forschung?

Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Vorstand der Abteilung Innere Medizin, Krankenhaus Barmherzige Brüder Linz sowie Präsident der Cholesterin-Allianz, und Mag. Bernhard Mraz, Country Medical Head Novartis Österreich, zeigen Lösungen auf – durch innovative Forschung, neue Behandlungsmethoden oder revolutionäre Vorbeugemaßnahmen. Welche das sind, hören Sie in der 21. Episode von Am Mikro|skop, moderiert von Martina Rupp. Diese und alle anderen Episoden des – gemeinsam mit dem Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) und Chemiereport/Austrian Life Sciences produzierten – Podcasts finden Sie hier: www.chemiereport.at/am-mikroskop

© Chris Saupper

Im Gespräch

Mario Haller: Arzneimittel-Innovationen haben mehr Wertschätzung verdient

Innovative Medikamente und Therapien ermöglichen es Ärzt:innen und medizinischem Personal, Krankheiten besser zu behandeln oder zu heilen. Dies führt zu einer verbesserten Patient:innen-Versorgung mit positiven Effekten auf die Lebenserwartung und -qualität. Deshalb hätten Arzneimittel-Innovationen mehr Wertschätzung verdient, meint Mario Haller, Managing Director bei Eli Lilly Austria. Durch die in Diskussion stehende Reduktion des Unterlagenschutzes werden aber Innovationen behindert und damit die künftige Versorgung von Patient:innen mit Arzneimittel-Innovationen riskiert, befürchtet Haller im Interview mit FOPI.flash.

Sie sind seit fast zehn Jahren Geschäftsführer von Eli Lilly in Österreich und kennen das Gesundheitssystem wie ihre Westentasche. Welche Stärken und Schwächen nehmen Sie wahr?

Als Stärken sehe ich: Österreich verfügt über eine gut entwickelte Gesundheitsinfrastruktur mit modernen Krankenhäusern, Kliniken und medizinischen Einrichtungen. Die Ausstattung und Technologie sind auf einem hohen Niveau. Außerdem zeichnet sich unser Gesundheitssystem durch eine hohe Qualität der medizinischen Versorgung aus. Ärzt:innen und medizinisches Personal werden gut ausgebildet und arbeiten nach internationalen Standards.

Auf der anderen Seite nehme ich klar als Schwächen wahr, dass etwa die Verantwortung für Planung, Steuerung und Finanzierung auf Bund, Bundesländer, Sozialversicherung und weitere Stakeholder verteilt ist. Dadurch ergibt sich ein hoher Abstimmungsbedarf unter vielen Institutionen, der Zeit kostet und Ergebnisse verzögert. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern ist das österreichische Gesundheitssystem kostenintensiv und zeigt eine stärkere Krankenhausnutzung auf, hier gibt es ein großes Effizienzpotential.[1]

Wie wird der Wert von Arzneimittel-Innovationen gesehen?

Innovative Medikamente und Therapien ermöglichen es Ärzt:innen und medizinischem Personal, Krankheiten besser zu behandeln oder zu heilen. Dies führt zu einer verbesserten Patient:innen-Versorgung mit positiven Effekten auf die Lebenserwartung und -qualität. Darüber hinaus können Arzneimittelinnovationen erhebliche wirtschaftliche Vorteile bieten, indem sie die Produktivität von Arbeitskräften verbessern und die Notwendigkeit teurer Langzeitbehandlungen oder Krankenhausaufenthalte reduzieren. Die pharmazeutische Industrie leistet in Österreich einen volkswirtschaftlichen Beitrag von 3,4 Mrd. EUR Wertschöpfung pro Jahr. Aus meiner Sicht hat der Nutzen von Arzneimittel-Innovationen in Österreich noch mehr Wertschätzung verdient.

Was schätzen Sie am österreichischen System?

Österreich bietet nach dem Solidaritätsprinzip die bestmögliche Gesundheitsversorgung für alle, unabhängig von Einkommen und Vermögen. Die soziale Krankenversicherung in Form der Pflichtversicherung garantiert die Absicherung von 99 % der Bevölkerung. Darüber hinaus ist durch die freie Arztwahl ein unkomplizierter Zugang zu Gesundheitsleistungen möglich. Wobei man hier anmerken muss, dass ein Ausbau der Kassenstellen unabdingbar ist, um Wartezeiten zu reduzieren und die Versorgung zu optimieren.

Wo bräuchte es dringend neue Lösungen, um das Gesundheitssystem angesichts von globalen Verwerfungen, Preisentwicklung und regulatorischer Veränderungen zukunftsfit zu halten?

Eine große Herausforderung beobachte ich beim Preisdruck auf innovative Arzneimittel. Das Anstreben fairer Preise, mit Möglichkeiten zur Preisanpassung sowie Inflationsanpassung und Indexpreisanpassung kann heimischen Patient:innen einen besseren Zugang ermöglichen.

Auch eine Effizienzsteigerung in den Strukturen ist unabdingbar. Durch eine Koppelung von stationärem und ambulantem Bereich und Steuerung der Patient:innenströme könnte eine integrierte Versorgung erreicht werden. Auch eine Stärkung der Digitalisierung von Vernetzung bis Nutzung ist essenziell. Eine verstärkte Einbindung der pharmazeutischen Industrie in politische Überlegungen und Entscheidungsprozesse bringt die Praxisperspektive ein und kann zu besseren Lösungen für Patient:innen führen.

Was müsste getan werden, damit die Versorgung heimischer PatientInnen mit innovativen Arzneimitteln für die Zukunft sichergestellt ist?

Zur Sicherung und Verbesserung der Versorgung braucht es ein stabiles, investitions- und innovationsförderndes Umfeld. Das beinhaltet auch Planungssicherheit für Investitionen in Forschung und Entwicklung. Eine Reduktion des Unterlagenschutzes, wie sie aktuell auf EU-Ebene diskutiert wird, bewirkt das Gegenteil. Die bereits erwähnte Anerkennung des Nutzens von innovativen Medikamenten für Patient:innen und in Hinblick auf die Volkwirtschaft ist ein essenzieller Punkt. Innovationen müssen belohnt werden, um die Ergebnisse für Patient:innen zu verbessern.

Über Eli Lilly

Lilly verbindet Fürsorge mit Forschergeist, um Medikamente zu entwickeln, die das Leben von Menschen verbessern. Seit fast 150 Jahren leisten wir Pionierarbeit, erzielen wissenschaftliche Durchbrüche und haben Therapieoptionen für einige der schwierigsten Gesundheitsprobleme gefunden. Heute helfen unsere Medikamente mehr als 49 Millionen Menschen auf der ganzen Welt.

Mit Erkenntnissen aus den Bereichen Biotechnologie, Chemie und Genetik treiben unsere Wissenschaftler:innen neue Entdeckungen voran, um einige der größten gesundheitlichen Herausforderungen der Welt zu lösen. So arbeiten sie daran, die Behandlung von Diabetes immer weiter zu optimieren, Adipositas zu behandeln und deren gravierende Langzeitfolgen einzudämmen, den Kampf gegen Alzheimer-Demenz voranzubringen, Lösungen für folgenschwere Störungen des Immunsystems zu finden und schwer zu behandelnde Krebsarten in beherrschbare Krankheiten zu verwandeln.

Bei jedem Schritt auf dem Weg zu einer gesünderen Welt geht es uns vor allem um eines: das Leben von Millionen Menschen zu verbessern. Das bedeutet auch, dass wir klinische Studien durchführen, die die Vielfalt unserer Welt abbilden. Und wir setzen uns dafür ein, dass unsere Medikamente weltweit zugänglich und bezahlbar sind.

Wenn Sie mehr über Lilly erfahren wollen, besuchen Sie uns auf https://www.lilly.at/ oder LinkedIn.

[1] https://jasmin.goeg.at/1398/1/Das%20%C3%B6sterreichische%20Gesundheitssystem_2019.pdf

© Freepik

Lebensverändernde Therapien

Innovationen für Nasenpolypen

Eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung beeinträchtigt stark den Alltag der Betroffenen. Noch schlimmer kann die Entzündung aber ausfallen, wenn sich zusätzlich Nasenpolypen bilden, die die Atmung und das Riechvermögen massiv einschränken. Dazu kommen oft noch ein Druck oder Schmerzen im Gesicht, Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten. Innovationen in der Arzneimittelforschung, sogenannte vollhumane monoklonale Antikörper, ermöglichen jedoch – als Zusatztherapie zur lokalen Steroidtherapie – ein gezieltes Vorgehen. Der häufig lange Leidensweg von Patient:innen von Operation zu Operation kann damit durchbrochen werden. Patient:innen erhalten oftmals ihre Lebensqualität zurück und berichten, erstmals seit Jahren wieder frei durch die Nase atmen und riechen zu können. Mehr dazu unter https://fopi.at/wir-sagen-danke/