Austria Drives Data

Christoph Bollenbach (c) Sophie Wagner
© Sophie Wagner

Österreich, du Land der Daten? Der Wunsch, Medizin neu zu denken

Die COVID-19-Pandemie hat mit ihren Auswirkungen und ihrer Geschwindigkeit nicht nur die Macht von Daten als einen entscheidenden Faktor im Krisenmanagement freigesetzt, sondern auch verdeutlicht, wie groß der Nutzen für das Gemeinwohl einer Gesellschaft ist und wie relevant es für den Bereich Forschung und Entwicklung ist, vorhandene Daten gut nützen zu können. Digitale Maßnahmen, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren, wurden im Gesundheitssystem quasi über Nacht stark verankert! Denken wir an die Bewegungen hin zum e-Rezept oder die Errungenschaften im Bereich Telemedizin.  So schlimm die Krise auch ist, war und leider noch nachwirken wird, die Pandemie kann auch als ein absoluter Türöffner für Innovation gesehen werden!

Diese Erkenntnis ist wichtig, doch leider wurde der Datenschatz in Österreich weder gefunden oder ausgegraben, noch fließen die Daten länderübergreifend gewachsener Strukturen so zusammen, wie es sich alle Systempartner wünschen würden.

„Traditionell ist der Gesundheitssektor reich an Daten, aber noch etwas arm an aussagekräftigen Informationen.“

Das heißt, falls Daten vorhanden sind, existieren diese nur in ihren eigenen Silos und können nicht miteinander kommunizieren. Einen echten Mehrwert haben ForscherInnen und EntwicklerInnen erst dann, wenn diese Silos miteinander sprechen können.

Dahingehend ist aktuell aber einiges in Bewegung: Auf europäischer Ebene möchte die Kommission den sogenannten European Health Data Space umsetzen. In Österreich soll das im Regierungsprogramm angekündigte Austrian Micro Data Center mittels Gesetzesnovelle seine Arbeit aufnehmen. Diese Bewegungen sind absolut zu begrüßen, und der aktuelle nationale Gesetzesentwurf kann ein maßgeblicher Meilenstein sein, Österreich als Wissenschafts- und Forschungsstandort nachhaltig zu stärken.

„Doch ein Arbeiten und Forschen mit Daten funktioniert nicht ohne gesellschaftliche Akzeptanz.“

Es ist wichtig, hier Vertrauen in digitale Tools aufzubauen und zugleich klare Regeln im Umgang mit Gesundheitsdaten zu etablieren, um die Bereitschaft zur Datenbereitstellung der PatientInnen zu erhöhen. Der individuelle Nutzen spielt hier genauso eine Rolle wie das gesellschaftliche Gemeinwohl. Denn am Ende des Tages ist Gesundheit auch Mannschaftssport! Gleichzeitig braucht es aber auch einen gut abgesteckten rechtlichen Rahmen, der nun mit dem Austrian Micro Data Center im Rahmen des Bundesstatistikgesetzes geschaffen werden soll. Aus Ländern wie Finnland und Frankreich wissen wir, wie wichtig es ist, den Zugang zu Daten streng zu regeln und zugleich zentrale Anlaufstellen (in Finnland: Findata; Frankreich: Health Data Hub) als One-Stop-Shop zu etablieren. Um ein einheitliches Datenökosystem in Österreich zu verankern, könnte sich das Austrian Micro Data Center in seiner Entstehungsgeschichte mindestens drei Scheiben abschneiden:

Erstens wäre es an der Zeit, Forschungsleistungen gleich zu behandeln und keinen Unterschied zu machen, ob Daten in öffentlichen Registern ausschließlich wissenschaftlichen Einrichtungen zugänglich gemacht werden können oder ob auch betriebliche Forschung mitgedacht werden kann. Spannend ist ja zu wissen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen einen Zugang zu Daten durch das Forschungsorganisationsgesetz hergeben, hier aber notwendige Öffnungsverordnungen der jeweils zuständigen Ministerien bisher fehlen.  

Zweitens braucht es Transparenz und Rechtssicherheit im Zugang zu Daten. Gerade im Antragsverfahren ist es unabdingbar, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der beteiligten Stellen klar zu verankern. Unklare Regeln, fehlende Fristvorgaben und eine Entscheidung ohne Bescheid hemmen Forschungsvorhaben. Entscheidungen könnten – wenn überhaupt – nur am Zivilrechtsweg hinterfragt werden. Aufgrund des unkalkulierbaren Risikos könnten viele Einrichtungen davon Abstand nehmen. Somit würden Forschungsvorhaben und weitreichende Investitionen ausfallen.

Drittens wäre es wünschenswert, eine Möglichkeit zu schaffen, damit auch private Register oder andere Datenquellen in die Infrastruktur schnell und einfach aufgenommen werden könnten. Neben dem Zugang zu Daten gelten auch die Sammlung, Digitalisierung, Aufbereitung und Verknüpfung von Gesundheitsdaten als sehr aufwändige und verantwortungsbewusste Aspekte. Eine sichere und datenschutzkonforme Bereitstellung hat hier oberste Priorität – sämtliche Aspekte der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) werden freilich berücksichtigt! Denn wie schon erwähnt braucht es Vertrauen in die Daten. Und Vertrauen geht über einen für sich erkennbaren Mehrwert. Das heißt, BürgerInnen benötigen die Gewissheit, dass die von ihnen erfassten Daten zielgerichtet zum Wohl der Gesellschaft verwendet werden und nicht zweckwidrig. Hier sind viele noch sehr skeptisch. Ganz anders das Verhalten in den sozialen Medien oder Kaufplattformen: Hier wird der Eindruck erweckt, als schmeiße die Gesellschaft den „Amazons“ und Facebooks“ des 21. Jahrhunderts völlig unreflektiert ihre privaten Datenschätze hinterher. Doch wenn es um die Gesundheit geht, wird gezögert? Ein Bruchteil von diesem Daten-Mindset könnte auch im Bereich Gesundheit nicht schaden. Denn wir sollten anfangen, mit Daten Leben zu retten. Und hier sind alle Systempartner in einem Boot. Denn ein Gesundheitssystem steht immer vor der Herausforderung, medizinische Innnovationen für alle PatientInnen schnellstmöglich zugänglich zu machen, gleichzeitig aber auch die Kosten im Auge zu behalten. Daten würden den Entscheidungsprozess hier maßgeblich unterstützen. Eine gut aufgestellte nationale Register-Daten-Infrastruktur wäre die Basis für evidenzbasierte Entscheidungen. Denn Register bilden die Realität in der Versorgung praxisnah ab, betrachten nicht nur den klinischen Mehrwert, sondern geben auch ein präzises Bild über den gesundheitsökonomischen Outcome. Um hier auch die besten Ergebnisse zu erzielen, müssten Register-Daten allen Systempartnern – von medizinischer und wissenschaftlicher bis hin zu betrieblicher Forschung – zugänglich gemacht werden. Eine gemeinsame Interpretation von Outcome-Daten würde nicht nur das Verständnis für den „Wert“ von Daten im Allgemeinen erhöhen, sondern könnte auch für bestimmte Therapieoptionen im Speziellen bessere therapeutische und gesundheitsökonomische Entscheidungen begründen.

„Digitale Datenräume sind die größte Chance für den medizinischen Fortschritt.“

Gemeinsam können wir Medizin neu denken! Dazu müssen wir das Vertrauen in die Digitalisierung stärken und den Wert von Gesundheitsdaten verständlich machen!

Christoph Bollenbach ist Public Affairs Manager bei Novartis in Österreich.