Bilanz von AGES und forschenden Pharmaunternehmen: Fast ein Drittel mehr innovative Arzneimittel im Jahr 2022
Die Arzneimittel-Innovationsbilanz für Österreich zeigt für das vergangene Jahr einen deutlichen Anstieg an Medikamenten mit neuem Wirkstoff. Insgesamt 54 solcher Arzneimittel konnten 2022 zugelassen werden. Über die letzten zehn Jahre betrachtet, kamen über 400 innovative Pharmazeutika auf den Markt und eröffneten Ärzt:innen sowie Patient:innen neue Behandlungsoptionen. Ein Bericht der Medizinmarktaufsicht der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI).
Fast 40 Mrd. EUR investiert die europäische Pharmaindustrie pro Jahr in Forschung und Entwicklung. Dazu passend hat die Pharmaindustrie mit 12,4 % die höchste F&E-Quote aller Technologiesektoren – deutlich vor Branchen wie IT, Auto- oder Luftfahrtindustrie. Ergebnis dieser intensiven Forschungs- und Entwicklungsarbeit sind über 400 innovative Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff, die in den letzten zehn Jahren zugelassen werden konnten.
„Die Bilanz über die Arzneimittel-Innovationen des letzten Jahres ist ein klarer Beleg für die ungebrochen intensive Forschungsarbeit im medizinisch-pharmazeutischen Bereich“, betont DI Dr. Günter Waxenecker, neuer Leiter des Geschäftsfelds Medizinmarktaufsicht in der AGES. „Mit 54 neuen Medikamenten wurde der langjährige Durchschnitt 2022 deutlich überboten. Gegenüber 2021 mit 41 Innovationen erhöhte sich der Output immerhin um fast ein Drittel.“
Weiterhin starker auf Fokus auf Onkologie
„Neu zugelassene COVID-19-Impfungen und -Therapeutika spielten für den Anstieg keine wesentliche Rolle“, so Waxenecker, „die Forschung an COVID-19 Arzneimitteln fand mehr oder weniger on top statt. Ein kräftiger Zuwachs war allerdings in der Onkologie zu verzeichnen.“
Im Detail entfallen 30 % der neuen Wirkstoffe auf die Onkologie. 9 % sind Arzneimitteln für seltene Erkrankungen bei Kindern zuzuordnen. 4 % stellen COVID-19-Impfstoffe, 5 % COVID-19-Therapeutika. Und zusätzlich kam eine Vielzahl an Innovationen für verschiedene andere Therapiegebiete wie z.B. hämatologische Erkrankungen, Migräne, Stoffwechsel-Erkrankungen, immunologische Erkrankungen, Osteoporose, HIV oder Asthma auf den Markt.
Als herausragende Beispiele nennt AGES Medizinmarktaufsicht-Geschäftsfeldleiter Waxenecker sechs Wirkstoffe:
- Dengue-Virus-Impfstoff
Das ist zwar schon der zweite Dengue-Fieber-Impfstoff, aber der erste, der auch für seronegative Personen (wie in der EU üblich) verwendet werden kann. Dieser attenuierte Lebendimpfstoff ist gegen vier Serotypen von Dengue wirksam. - Lenacapavir
Das ist der allererste Wirkstoff einer vollkommen neuen, auch gegen multiresistente HIV-1-Infektionen wirksamen Klasse – den sog. Capsid-Inhibitoren. Diese HIV-First-in-Class Therapie erfordert eine nur 2x jährliche Verabreichung als subkutane Injektion. - Lutetium (177Lu) vipivotid tetraxetan
Hier handelt es sich um eine neue, zielgerichtete Radioligandentherapie für metastasiertes therapierefraktäres Prostatakarzinom – ein so genanntes Radiotherapeutikum. - Relatlimab
Das ist eine weitere antikörperbasierte Kombinationstherapie zur Behandlung von schwarzem Hautkrebs - Tirzepatid
Dieser erste duale GIP- und GLP-1-Rezeptor-Agonist ist wirksam bei unzureichend eingestelltem Diabetes mellitus Typ 2 und muss nur einmal pro Woche als subkutane Injektion verabreicht werden. - Valoctocogen roxaparvovec
Die allererste Gentherapie zur Behandlung der schweren Hämophilie A in der EU verwendet ein Adeno-assoziiertes Virus des Serotyps 5 (AAV5) als Vektor
Klinische Forschung unverzichtbar – auch in Österreich
„Voraussetzung für die vielen neuen Ansätze ist das hohe Investment in Forschung und Entwicklung, das sich nicht zuletzt in der klinischen Forschung – auch in Österreich – manifestiert“, erläutert Michael Kreppel-Friedbichler. „Über 44 % der F&E-Kosten machen klinische Studien aus. Sie sind unverzichtbar, um Wirksamkeit und Sicherheit für Patient:innen zu gewährleisten.“
In Österreich liegt die Zahl der klinischen Studien seit einigen Jahren auf stabilem Niveau. 2022 wurden 284 klinische Prüfungen gestartet. „Wir drohen im internationalen Wettbewerb um klinische Studien aber den Anschluss zu verlieren“, warnt Kreppel-Friedbichler. „Alle Verantwortlichen im Gesundheitssystem, von der Politik über die Behörden und Universitäten bis hin zu den Unternehmen, sollten deshalb alles daran setzen, die Rahmenbedingungen für klinische Forschung zu verbessern. Klinische Studien haben einen hohen Wert für das Gesundheitssystem in Österreich. Sie halten und ziehen Top-Ärzt:innen an. Sie ermöglichen Patient:innen den Zugang zu neuesten Entwicklungen und gewährleisten engmaschige Betreuung. Sie bringen dem System Einsparungen, da die Medikamente von den forschenden Unternehmen getragen werden. Und sie erzielen nachweislich hohe Wertschöpfung.“
Eine Untersuchung des IPF ergab etwa, dass im Zuge klinischer Forschung medizinische Behandlung im Wert von 100 Mio. Euro dem Gesundheitssystem erspart wurde.
Innovation als Türöffner für Gesundheit
„Wir brauchen Innovation. Denn für jeden Einzelnen von uns ist Gesundheit das höchste Gut, und nur die Forschung und der medizinische Fortschritt werden die enormen gesundheitlichen Herausforderungen der Zukunft bewältigen können. Neben dem Individuum profitieren aber auch die Gesellschaft als solche, die heimische Wirtschaft und die öffentliche Hand von Innovation. Dies stellte zuletzt eine Studie des IHS deutlich dar“, so Kreppel-Friedbichler.
Hohe Bedeutung Österreichs im europäischen Zulassungsprozess
Für die zuverlässige Prüfung neuer Wirkstoffe und die Zulassung spielt die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) eine entscheidende Rolle, und ihre Arbeit wird auch in den europäischen Institutionen geschätzt: So war die AGES im Jahr 2022 im zentralen Zulassungsverfahren neunmal als Rapporteur, achtmal als Co-Rapporteur und viermal in multinationalen Gutachter-Teams beteiligt. „Österreich rangiert damit weiterhin im europäischen Spitzenfeld – und das nicht nur bei den Zulassungsverfahren, sondern auch bei der wissenschaftlichen Beratung“, sagt Waxenecker. Denn auch im so genannten Scientific Advice-Verfahren der EMA wird die Expertise der heimischen Behörde geschätzt. Immerhin 137 dieser wissenschaftlichen Beratungsverfahren wurden im Jahr 2022 von Österreich koordiniert.
Arzneimittel-Innovationen für Ärzt:innen und Patient:innen entscheidend
Aus ärztlicher Sicht unterstreicht Assoc. Prof. Priv. Doz. Dr. Markus Zeitlinger, Leiter der Abteilung für klinische Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien, die Bedeutung klinischer Studien: „Auch in der klinischen Forschung ist Innovation zentral – nicht nur als Ziel der Forschung, sondern auch in der Art und Weise, wie klinische Studien durchgeführt werden. In den letzten Jahren haben innovative Studiendesigns und Pathways Einzug gehalten. Über verschiedene Indikationen hinweg ist ein Trend von der Symptom-getriebenen Zulassung zur Ursachen-basierenden Indikation zu erkennen. Vor allem für seltene Erkrankungen ermöglicht das die Durchführung von kontrollierten Studien. Statt Brustkrebs und Eierstockkrebs spricht man also von Krebszellen mit bestimmten Mutationen wie BRCA, statt Lungenentzündung und Harnwegsinfekt von Infektionen, die durch bestimmte hochresistente Keime verursacht werden. Ist auch das nicht mehr möglich, können so genannte Adaptive Studiendesigns dabei helfen, die Arzneistoffentwicklung zu straffen oder im Falle von sehr seltenen Erkrankungen überhaupt zu ermöglichen. Und schlussendlich helfen uns computerbasierte Simulationen, hypothetische Patient:innen zu generieren, etwa um die optimale Dosierung von Arzneistoffen zu ermöglichen oder die Erfolgsrate eines Medikaments für eine heterogene Population abzuschätzen.“
Die lebensverändernde Wirkung innovativer Therapien hebt auch Mag.a Andrea Brunner, Geschäftsführerin der Aids Hilfe Wien, hervor: „Die Entwicklung neuartiger Ansätze hat das Leben von Menschen mit HIV in den letzten Jahrzehnten zum Positiven beeinflusst. Während in den 1980er-Jahren eine HIV-Infektion dramatische Auswirkungen hatte, können Betroffene heute unter wirksamen Therapien ein normales Leben mit guter Lebensqualität führen. Und sie können bei konsequenter Einnahme der Therapie das Virus nicht weitergeben. Das ist bekannt. Und auch heute bringen moderne Arzneimittel noch weitere Verbesserungen in der Lebensqualität mit sich. Darum ist jeder neue Therapieansatz, der für Menschen, die mit HIV leben, eine Verbesserung und Erleichterung für ihre konkrete Lebenssituation bringt, extrem zu begrüßen.“
Fotos
Fotos von der Pressekonferenz finden Sie unter https://www.apa-fotoservice.at/galerie/32646
Pressemappe
Die Pressemappe (bestehend aus Presseinfo und Präsentation) steht hier zum Download zur Verfügung
Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:
Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)
Mag. Evelyn Devuyst
+43 664 8269333
AGES – Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH
Fachbereich Risikokommunikation
+43 (0)50 555-25000