FOPI.flash Jänner 2023
In dieser Ausgabe
- Editorial: Stehen die Patient:innen im Fokus des Finanzausgleichs?
- Position: Lieferengpässe – komplexe Probleme brauchen komplexe Lösungen
- Zahl des Monats: Fast 800 Medikamente
- Blog: Der Europäische Gesundheitsdatenraum als Vision
- Im Gespräch: Julia Guizani – Aufwand und Risiko müssen sich decken
- Lebensverändernde Therapien: Innovationen für Diabetes
Editorial
Stehen die Patient:innen im Fokus des Finanzausgleichs?
Im Dunstkreis der Finanzausgleichsverhandlungen werden fast täglich neue Ideen zur Reformierung des Gesundheitssystems publik. Ein paar willkürlich ausgewählte Beispiele: Die Bundesländer wollen die Finanzierung auf drei statt zwei Säulen stellen und schlichtweg weniger Kosten tragen. Dachverbandschef Peter Lehner wiederum möchte die Zuständigkeit für die Spitäler von den Ländern zur Sozialversicherung verlagern und schlägt die Zusammenlegung der Ärztekammern vor. Und die Ärztekammer wehrt sich gegen derlei Ansinnen und will die Ambulanzgebühr wiederbeleben.
Bei näherer Betrachtung geht es in diesem Schlagabtausch aber zumeist um eines: um Macht und Einfluss. Die – als zentral beschworenen – Patient:innen dienen oft nur als Vorwand, nicht als wahre Nutznießer:innen der Reform. Sonst müssten die Diskussionen anders laufen, und die Lösungsvorschläge anders lauten.
Ein Diskurs, bei dem Bürger:innen und Patient:innen sowie alle anderen unverzichtbaren Player im Gesundheitswesen eingebunden werden, findet nicht statt. Das ist bedauerlich. Denn auf diese Weise ist zu befürchten, dass die Verhandlungen keine echte Veränderung bringt.
Deshalb wünschen wir uns, ja fordern wir sogar von den Verantwortlichen, ernst gemeinte Gespräche mit allen zu führen, zuzuhören und offen für Lösungen zu sein, die nicht zuallererst die eigenen Interessen befriedigen – sondern die der Patient:innen.
Bernhard Ecker, Anthea Cherednichenko und Michael Kreppel-Friedbichler
Präsidium des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)
© freepik
Position
Lieferengpässe: Komplexe Probleme brauchen komplexe Lösungen
„Derzeit nicht lieferbar“ erregt seit Wochen die Gemüter. Lieferengpässe bei Medikamenten ärgern die Patient:innen und rufen die Verantwortlichen im Gesundheitswesen auf den Plan. Nicht immer wird jedoch zur Sache diskutiert – oftmals dient das Thema als Plattform für interessensgeleitete Scharmützel. Worum geht es wirklich? Und wie könnten Lösungen entwickelt werden?
Fakt ist: Derzeit kommt es im Arzneimittelmarkt, speziell bei Antibiotika, zu Lieferverzögerungen. In Österreich waren laut AGES im Jahr 2021 788 Arzneimittel davon betroffen. 2022 gab es insgesamt 1.257 Meldungen zu Arzneispezialitäten, die nicht bzw. nicht ausreichend verfügbar waren. Doch Österreich ist kein Einzelfall. Lieferengpässe sind ein europäisches, ja globales Problem.
Grund für die Zuspitzung ist vor allem das angestiegene Infektionsgeschehen bei Erkältungs- und Atemwegskrankheiten. Österreich war in den letzten Wochen von einer Triple-Infektionswelle – also dem gleichzeitigen epidemischen Auftreten von COVID-19, Influenza und dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) – beherrscht, und dazu kamen noch die klassischen Erkältungen, ausgelöst von den vergleichsweise harmlosen Rhinoviren. Dadurch erhöhte sich sprunghaft der Medikamentenbedarf, der Arzneimittelproduktion fehlte der wichtige Vorlauf und schon waren die Nachschubprobleme für jede:n sichtbar.
Vielfältige Ursachen
Fast ebenso schnell lagen die Gründe auf dem Tisch, oftmals als Vorwürfe formuliert: Die globale Produktion von Arzneimitteln sei die Ursache, die „aus Kostengründen in den letzten Jahrzehnten nach Asien, insbesondere nach Indien und China, ausgelagert wurde“. Die Pandemie und der Ukrainekrieg wurden für Schwierigkeiten in der Lieferkette verantwortlich gemacht. Die hohe Konzentration unter den Herstellern kam als Ursache ins Spiel. Die in Österreich niedrigen Arzneimittelpreise wurden als Problem ins Treffen geführt. Und nicht zuletzt wurde den Parallelexporten die Schuld gegeben, weil spezialisierte Großhändler Medikamente in anderen EU-Ländern gewinnbringend verkaufen, die hierzulande gebraucht werden würden.
Eingeschränkte Auswirkungen
Doch lassen wir die Kirche im Dorf. Die Engpässe betreffen vor allem Generika bzw. bestimmte Arzneimittelklassen. Bei den innovativen Therapien treten kaum Liefereinschränkungen auf. Bisher sind dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) auch noch keine Fälle gemeldet worden, bei denen eine Patientin oder ein Patient aufgrund von Medikamenten-Lieferengpässen zu Schaden gekommen ist. In nahezu allen Fällen stehen wirkstoffgleiche Medikamente oder therapeutisch gleichwertige Ersatzpräparate mit gleicher Wirkung zur Verfügung.
Trotzdem sollte man das Thema nicht klein reden. Die Versorgung heimischer Patient:innen ist angesichts hoch komplexer Produktionsketten sowie schwieriger Rahmenbedingungen mit dem Krieg in der Ukraine und immer noch bestehenden Pandemiehürden zweifellos eine große Herausforderung.
Keine einfachen Lösungen
Simple Lösungen werden jedoch nicht helfen. Weder die viel diskutierte Wirkstoffverschreibung noch das nationale Notfalllager im Land noch die Forderung nach der „Rückholung der Produktion nach Österreich“ können die erwünschte Entlastung so einfach bewirken. Es braucht durchdachte Strategien für ganz Europa, von denen dann auch unsere Patient:innen und Bürger:innen profitieren werden. Die Forcierung der Arzneimittelforschung und -Produktion in Europa begrüßen wir selbstverständlich. Aber das ist nicht alles: Schon jetzt stammen laut einer Studie fast 80 Prozent der Arzneimittel in der EU aus Europa. Und selbst wenn man die vorgelagerten Wirkstoffe betrachtet, wird über die Hälfte in der EU gefertigt. China nimmt mit 22,5 Prozent gerade mal den zweiten Rang ein.
Deshalb muss man aus unserer Sicht den gesamten Prozess betrachten: von der klinischen Forschung über die Herstellung und die Logistik bis hin zur Preisbildung. Und man muss im Diskurs Lösungsansätze entwickeln. Aufoktroyierte Maßnahmen lassen viele Aspekte außer Acht und Chancen ungenutzt.
Zahl des Monats
Fast 800
Medikamente für häufige chronische Erkrankungen sind laut dem Branchenverband PhRMA derzeit in Entwicklung. Trotz extrem langer Vorlaufzeiten, trotz ungewissem Ausgang und hohem Risiko, trotz einer Diskussion über die Aufhebung des Patentschutzes. Ein Beleg, dass der Innovationszyklus entgegen aller Unkenrufe funktioniert und eine Hoffnung für die Betroffenen darstellt.
Quelle: Pharmafakten, November 2022
© Freepik
Blog
Der Europäische Gesundheitsdatenraum als Vision
Angespornt durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens während der COVID-19-Pandemie hat die EU-Kommission ihren jüngsten Plan für einen Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) als „bahnbrechend“ vorgestellt. Dieser soll „der EU zu einem Quantensprung in der Art und Weise verhelfen, wie die Gesundheitsversorgung der Menschen in ganz Europa erfolgt“. Doch wie lässt sich der Europäische Gesundheitsdatenraum verwirklichen? Ein Blog von Stefano Santangelo. Lesen Sie mehr im neuen FOPI.Blog!
© Zsolt Marton
Im Gespräch
Julia Guizani: Aufwand und Risiko müssen sich decken
Die Arzneimittelpreise fallen in Österreich seit 1996 und stehen häufig in keinem Verhältnis zum Forschungs- und Entwicklungsaufwand, sagt Julia Guizani, neu als Country Lead von Sanofi in Österreich, im Interview mit FOPI.flash. Deshalb braucht es neue Ansätze in der Preisgestaltung von Medikamenten und die Aufrechterhaltung des Patentschutzes. Denn er ist die Basis für Innovationen.
Sie sind seit kurzem neu in der Rolle als Country Lead bei Sanofi in Österreich und damit Nachfolgerin von Wolfgang Kaps. Mit welchen Zielen sind Sie angetreten? Wo werden Ihre Schwerpunkte liegen?
Wolfgang und das Team haben Sanofi hier in Österreich erfolgreich in ein modernes Gesundheitsunternehmen verwandelt. Ich möchte die partnerschaftlichen Kooperationen im österreichischen Gesundheitswesen entsprechend weiterführen und diesen erfolgreichen Weg gemeinsam mit allen fortsetzen. Im Sinne unserer Unternehmensstrategie wollen wir dabei die besten oder die ersten bei Produkten bzw. Therapien sein und fokussieren uns auf die Impfstoffe, die Immunologie und die Onkologie. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielen dabei eine entscheidende Rolle. Denn SIE arbeiten täglich daran, Außergewöhnliches für die Patientinnen und Patienten zu leisten. Das ist harte Arbeit und erfordert auch künftig ihr großartiges Engagement. Unsere Mobile Office Policy ermöglicht es ihnen dabei, den Job mit ihrem Privatleben bestmöglich in Einklang zu bringen: flexible Arbeitszeiten zwischen 6 und 22 Uhr in ganz Österreich. Damit gehören wir zu den Top Arbeitgeber:innen des Landes und wollen das auch bleiben.
Sie bringen viel Erfahrung aus anderen Ländern und Unternehmen mit. Wie ist Ihr Blick auf das österreichische Gesundheitssystem? Welche Stärken und Schwächen nehmen Sie wahr?
Österreich hat ein sehr entwickeltes Gesundheitssystem: Mit anerkannten medizinischen Hochschulen, interessanten Forschungsprojekten und Start-ups. Außerdem hat Österreich mit ELGA eine Infrastruktur, um die es international beneidet wird. Und trotzdem wird das Potenzial von ELGA noch nicht ausgeschöpft. Eher kritisch ist aber sicher die übermäßige und medizinisch oft nicht indizierte Beanspruchung von Krankenhäusern, die das System überlastet. Auch die Rahmenbedingungen für die Preisgestaltung von Medikamenten haben sich in Österreich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. Diese strengen Regulatorien verlangen von den Unternehmen allerding einen großen Spagat zwischen dem Schutz der Patientinnen und Patienten sowie der Zeit- und Kostenkontrolle. Und trotzdem müssen wir Innovationen vorantreiben. Das alles geht auf Dauer aber nicht – der Aufwand und das wirtschaftliche Risiko müssen sich decken.
Wie wird der Wert von Arzneimittel-Innovationen gesehen?
Ich habe den Eindruck, dass es auch in der österreichischen Bevölkerung teilweise zu wenig Bewusstsein für den Wert von innovativen Medikamenten gibt. Aber ohne Forschung und Entwicklungen aus der Industrie gäbe es keine Heilung oder Linderung. Für Betroffene haben Innovationen also einen extrem hohen und unmittelbaren Wert, den es zu erkennen gilt. Denn sie mindern den Leidensdruck, verbessern die Lebensqualität und bringen im besten Fall Heilung.
Darüber hinaus haben Arzneimittel-Innovationen enorme Effekte: Denken wir nur an die Reduktion von Spitalsaufenthalten oder von Pflegeaufwand. Und trotzdem herrscht die weitverbreitete Ansicht, dass Medikamente zu teuer sind. Dabei ist es Fakt, dass die Arzneimittelpreise in Österreich seit 1996 kontinuierlich fallen und häufig in keinem Verhältnis zum Forschungs- und Entwicklungsaufwand stehen.
Was schätzen Sie am österreichischen System?
Das österreichische Gesundheitssystem ist definitiv eines der besten der Welt. Insbesondere in puncto Digitalisierung sticht es im europäischen Vergleich hervor. Obwohl es natürlich immer Bereiche gibt, die besser und schlechter funktionieren. Grundsätzlich hat Österreich aber bewiesen, dass es auch in Belastungszeiten eine hochwertige Versorgung bietet. Was ich besonders schätze, ist der einheitliche Blick auf den Gesundheitsbereich – von der Wissenschaft bis hin zur Pharmaindustrie. Und ich freue mich auf die gute Zusammenarbeit, von der ich schon viel gehört habe.
Wo bräuchte es dringend neue Lösungen, um das Gesundheitssystem angesichts von Pandemie, Preisentwicklung und regulatorischer Veränderungen zukunftsfit zu halten?
Einerseits bei den Strukturen, um eben eine Verschiebung von den Spitalsstrukturen in den niedergelassenen Bereich zu bewirken und das System zu entlasten. Andererseits bei der Medikamentenproduktion. Gerade im Bereich der Lieferketten müssen wir uns als Branche besser aufstellen. Und drittens braucht es neue Ansätze in der Preisgestaltung von Medikamenten.
Was müsste getan werden, damit die Versorgung heimischer Patient:innen mit innovativen Arzneimitteln für die Zukunft sichergestellt ist?
Die Regeln für die Preisgestaltung von Medikamenten und Indikationserweiterungen sollten überarbeitet werden, um den Zugang zu innovativen Arzneimitteln hier in Österreich langfristig zu sichern. Zumindest im patentfreien Bereich sollte eine Inflationsanpassung erfolgen. Innovationen sollen mehr an ihrem Nutzen und nicht nur rein an ihren Kosten gemessen werden. Ganz wesentlich ist auch die Aufrechterhaltung des Patentschutzes. Er ist die Basis für Innovationen.
Über Julia Guizani
Julia Guizani blickt auf eine lange Karriere in der Pharmabranche zurück. Die studierte Betriebswirtin war in mehreren Pharmakonzernen weltweit in unterschiedlichen Marketingpositionen tätig, unter anderem von 2017 bis 2020 auch schon bei Sanofi. Zuletzt leitete sie bei AstraZeneca als Business Unit Director die Agenden rund um das Atemwegs- und Immunologie-Portfolio.
Über Sanofi
Sanofi ist ein innovatives globales Gesundheitsunternehmen mit einer einzigen Bestimmung: Wir erforschen die Wunder der Wissenschaft, um das Leben der Menschen zu verbessern. Unser Team setzt sich in mehr als 100 Ländern dafür ein, die medizinische Praxis zu verändern und damit das Unmögliche möglich zu machen. Wir bieten weltweit Millionen von Menschen lebensrettende Impfstoffe und Behandlungsoptionen an, die das Potential haben, das Leben zu verbessern. Dabei stellen wir Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung in den Mittelpunkt unseres Handelns. www.sanofi.at
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Lebensverändernde Therapien
Innovationen für Diabetes
Diabetes ist eine Stoffwechselerkrankung, die sich auf viele Bereiche des Körpers auswirkt. Bei Diabetes Typ 1 produziert der Körper kein Insulin. Ohne Insulin kann der Körper jedoch den durch die Nahrung aufgenommenen Zucker nicht verwerten. Menschen mit Typ-1-Diabetes müssen daher täglich Insulin spritzen. Ohne Insulin ist Typ-1-Diabetes eine Erkrankung mit äußerst kurzer Lebenserwartung, die Betroffenen starben in früheren Zeiten bereits im Kindesalter. Heute ist eine Reihe moderner Insuline verfügbar, die nicht nur in Bezug auf ihre Wirksamkeit, sondern auch auf ihre Alltagstauglichkeit den Betroffenen ein nahezu unbeschwertes Leben ermöglichen. Die Lebenserwartung ist bei guter Einstellung die eines gesunden Menschen. Mehr dazu unter https://fopi.at/wir-sagen-danke/