EU Pharmaceutical Legislation – Ist Gutes wollen auch Gutes tun?
Mit dem neuen EU-Pharmapaket sollen wichtige Ziele erreicht werden – wie die Besserstellung europäischer Patient:innen hinsichtlich Zugang zu Medikamenten, Versorgung mit moderner Medizin und Leistbarkeit von Arzneimitteln. Allerdings müssen die im Gesetzesentwurf vorgestellten Lösungsvorschläge hinterfragt werden, um diese Ziele auch tatsächlich zu erreichen, analysiert Doris Schernhammer, Director, European Government Affairs bei Eli Lilly & Company in Brüssel.
„Die Statistiken sind sehr aussagekräftig. Wenn innovative Arzneimittel auf den EU-Markt kommen, sind 90 % davon in westlichen und großen Mitgliedstaaten zu finden. In den östlichen und kleinen Mitgliedstaaten sind es hingegen nur 10 %.“[i] Diese Aussage von EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides bei der Tagung der EU-Gesundheitsminister über das EU-Pharmapaket am 13. Juni 2023 zeigt das Problem auf, das die Europäische Kommission mit ihrem Gesetzesvorschlag adressieren möchte. Das am 26. April 2023 veröffentlichte EU-Pharmapaket konzentriert sich auf drei Hauptziele: Zugang, Versorgung und Leistbarkeit von Medikamenten. Sehen wir uns diese drei Hauptziele genauer an:
Zugang zu Medikamenten
Die forschende pharmazeutische Industrie unterstützt das Ziel eines EU-weiten schnelleren und gerechteren Zugangs zu Medikamenten für Patient:innen. Der zehnfache Unterschied bei der Geschwindigkeit des Zugangs der Patient:innen zu innovativen Medikamenten innerhalb der EU ist ungerecht und inakzeptabel. In Österreich müssen Patient:innen im Durchschnitt 301 Tage nach der EMA-Zulassung warten, bis ein Medikament verfügbar ist während in Deutschland Patient:innen im Durchschnitt 128 Tage warten.[ii]
Die Gründe dafür liegen an nationalen Preisfestsetzungs- und Erstattungsverfahren[iii]. Diese Verfahren können beispielsweise Referenzpreise von mindestens fünf EU-Ländern erfordern, welche dann zur Bestimmung des nationalen Preises herangezogen werden. Selbst wenn eine nationale Erstattungsentscheidung getroffen ist, kommt es in Ländern wie Spanien und Italien zu weiteren regionalen Verzögerungen. Bei HTA-Nutzenbewertungen können die Datenanforderungen von Land zu Land unterschiedlich sein. Gesundheitspolitische Prioritäten und die Infrastruktur des Gesundheitssystems sind weitere Faktoren. Verfügt das Gesundheitssystem über Diagnostika z. B. Scanner oder Biomarker für Krebs, um die Patient:innen zu identifizieren, die von einer Behandlung profitieren könnten? Ohne diese kann ein Medikament nicht genutzt werden.
„Es besteht das Missverständnis, dass geistiges Eigentum ein Hindernis für den Zugang darstellt.“
Die Verknüpfung von geistigem Eigentum mit der Markteinführung in allen Mitgliedsstaaten ist kein geeignetes Mittel, um die bestehenden Zugangshürden in den EU-Ländern zu beseitigen. Die Ursachen sind vielschichtig und für jedes Land ist eine andere Lösung erforderlich.
Der Gesetzesvorschlag verkürzt den Schutz des geistigen Eigentums (Unterlagenschutz – Regulatory Data Protection[iv]) um zwei Jahre. Diese zwei Jahre Unterlagenschutz können zurückgewonnen werden, wenn ein Unternehmen das Medikament innerhalb von zwei Jahren[v] nach Zulassung in allen 27 EU-Mitgliedsstaaten auf den Markt bringt und die stetige Versorgung damit sicherstellt. Allerdings liegt dies größtenteils außerhalb der Kontrolle der Industrie.
„Innovativen Unternehmen wird die Zuverlässigkeit eines starken und vorhersehbaren Schutzes des geistigen Eigentums zum Investitionszeitpunkt genommen. Das kann im Endeffekt zu weniger Investitionen in Innovationen für die Zukunft und zu einer Schwächung des Pharmastandortes Europas führen.“
Um die großen Unterschiede in der Verfügbarkeit von Innovationen in Europa abzubauen, hat sich die forschende pharmazeutische Industrie[vi] vor über einem Jahr selbstverpflichtet. Anträge auf Preisfestsetzung und Kostenerstattung werden in allen EU-Ländern spätestens zwei Jahre nach der EU-Marktzulassung gestellt, im Einklang mit nationalen Verfahren. Die Selbstverpflichtung umfasst auch die Etablierung eines Portals, um die Einhaltung dieser sowie Ursachen von Nicht-Verfügbarkeit und Verzögerungen aufzuzeigen. Die Ergebnisse[vii] sollen dazu beitragen die Probleme gemeinsam mit allen Stakeholdern anzugehen.
Versorgung
Lieferengpässe bei Medikamenten haben Patient:innen während der Pandemie und im letzten Winter stark verunsichert. Keine Innovation ist für Patient:innen von Wert, wenn sie diese nicht bekommen und nutzen können. Die Resilienz der Lieferketten ist unerlässlich.
Der Gesetzesvorschlag sieht vor, dass Engpässe sechs Monate im Voraus gemeldet werden müssen. Diese Maßnahme droht das Problem noch zu verschärfen. Es kann erst recht ein Engpass entstehen, wenn aufgrund der Meldung eine Bevorratung verschiedener Akteure stattfindet.
„Es braucht eine Ausweitung der regulatorischen Flexibilität. Denn diese könnte rasche Reaktionen ermöglichen, wenn Probleme auftauchen.“
Zudem sollte ein risikobasierter Ansatz gewählt werden, um zielgerichtete Maßnahmen zu setzen und Versorgungssicherheit zu garantieren. Da einzelne Länder gerade ihre eigenen Maßnahmen zur Versorgungssicherheit entwickeln, muss sichergestellt werden, dass EU-Maßnahmen mit den geplanten nationalen Maßnahmen verknüpft werden, damit eine Verdoppelung bzw. widersprüchliche Verpflichtungen verhindert werden.
Leistbarkeit
Angesichts der Budgetknappheit nach der Pandemie und aufgrund der hohen Inflation könnten die Gesundheitssysteme gezwungen sein, den Zugang zu neuen Medikamenten einzuschränken.
Nach der COVID-19 Pandemie stehen die Gesundheitssysteme unter großem Druck. Während der Pandemie lag der Fokus auf COVID-19, jetzt müssen Untersuchungen, Operationen und Therapien nachgeholt werden. Zudem haben die hohe Inflation und Energiepreise den Druck auf den Budgethaushalt der Mitgliedsländer weiter erhöht. Die Gesundheitsbudgets bleiben stark beansprucht und in vielen Mitgliedstaaten sind Kosteneinsparprogramme für Medikamente in Planung oder Umsetzung.
„Geistiges Eigentum sichert die Entwicklung innovativer Medikamente von heute, die zu den günstigeren Generika und Biosimilars von morgen werden.“
Das vorgelegte Pharmapaket zielt auf einen schnelleren Zugang zu Generika und Biosimilars ab. Dabei wird fälschlicherweise angenommen, dass dies durch die Reduktion des Schutzes des geistigen Eigentums um zwei Jahre erreicht werden kann. Gerade in der Entwicklung von Behandlungen für chronische Krankheiten, wie z. B. bei der Alzheimer-Krankheit, sind in der Regel längere klinische Studien erforderlich.
Als forschende pharmazeutische Industrie teilen wir die Ziele des neuen EU-Pharmapakets – einen schnelleren Zugang für Patient:innen in Europa zu schaffen und die Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. Allerdings sehen wir das Risiko, dass die gesteckten Ziele mit dem Gesetzesvorschlag nicht erreicht werden können.
Es wird es noch ca. drei bis fünf Jahre dauern, bis das Paket zwischen den EU-Institutionen fertig verhandelt ist. Die Patient:innen können jedoch nicht so lange warten: Sie brauchen schnelle und richtige Lösungen.
MMag. Doris Schernhammer ist Director, European Government Affairs bei Eli Lilly & Company in Brüssel.
[i] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/speech_23_3246
[ii] https://efpia.eu/media/s4qf1eqo/efpia-patient-wait-indicator_final-report-2023.pdf
[iii] https://www.efpia.eu/media/677292/cra-efpia-root-causes-unavailability-delay-080423-final.pdf
[iv] Regulatory Data Protection/Unterlagenschutz ist ein geistiges Eigentumsrecht gemäß WTO TRIPS (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights). Es schützt die vertraulichen Daten, die im Zusammenhang mit den umfangreichen klinischen Versuchen entstehen und die für die Zulassung eines sicheren und wirksamen Arzneimittels erforderlich sind.
[v] Oder drei Jahren für klein und mittelständische Unternehmen und “nicht gewinnorientierte Einrichtungen”
[vii] https://efpia.eu/media/677291/european-access-hurdles-portal-efpia-cra-report-200423-final.pdf