FOPI.flash März 2022
In dieser Ausgabe
- Editorial: Echte Reformen statt Cost-Cutting
- Interview Christian Helmenstein: Nutzen wir den Föderalismus
- Zahl des Monats: Jede 50ste
- Podcast: Prävention versus Reparaturmedizin
- Wordrap Mike Starnawski: Die EU Clinical Trial Regulation könnte von Nachteil sein
Editorial
Echte Reformen statt Cost-Cutting
Während aktuell in verschiedensten Bereichen Preise ungehemmt steigen, wurden pharmazeutische Innovationen durch einen – in der ASVG-Novelle geregelten – fixen Preisabschlag von minus 6,5 % auf den EU-Durchschnitts(!!)preis abgestraft. Zusätzlich greifen weitere Mechanismen, die die Kosten der Sozialversicherung im Bereich des Arzneimitteleinkaufs um dreistellige Millionenbeträge entlasten.
Doch wir wollen nicht über Zahlen sprechen und kurzsichtige Rechenspiele veranstalten. Viel wichtiger wäre es, sich mit der Effizienz des veralteten Erstattungssystems auseinanderzusetzen und eine umfassende Neugestaltung der Preisbildungsregelungen anzugehen. Nur dann wären echte Reformen und nachhaltige Lösungen realisierbar, die den Zugang zu innovativen Medikamenten ermöglichen – und nicht verhindern.
Dazu braucht es kreative Ideen, ergebnisoffenes Diskutieren und Mut zur Umsetzung. Und zwar von allen Beteiligten. Wir stehen bereit und werden nicht müde werden, diese neue Art des Miteinanders anzustoßen. Denn alles andere können wir uns nicht leisten.
Bernhard Ecker, Anthea Cherednichenko und Michael Kreppel-Friedbichler
Präsidium des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)
© Industriellenvereinigung
Im Interview
Christian Helmenstein: Nutzen wir den Föderalismus!
Am österreichischen Gesundheitssystem lässt sich vieles verbessern, ist Christian Helmenstein, Leiter des Economica Institus für Wirtschaftsforschung und Chefökonom der Industriellenvereinigung, überzeugt. Im Interview mit FOPI.flash offenbart der Wirtschaftsforscher jedoch ungewöhnliche Ansätze, die den üblichen Kritikpunkten sogar etwas abgewinnen können.
Das österreichische Gesundheitssystem gilt als eines der besten der Welt, aber auch als eines der teuersten. Wie schätzen Sie das ein?
Österreich ist eine Hocheinkommens-Ökonomie, weltweit betrachtet. Und in einer Hocheinkommens-Ökonomie ist es auch nicht überraschend, dass die Menschen bereit sind, einen erheblichen Anteil ihres Einkommens für Gesundheitsleistungen auszugeben. Denn bei Gesundheit handelt sich um ein so genanntes superiores Gut. Das heißt, mit einem steigenden Einkommen nimmt die Ausgaben- und zum Teil auch die Zahlungsbereitschaft überproportional zu.
Gut, doch ist der Outcome diesen hohen Kosten angemessen?
An dieser Relation müssen wir zweifellos arbeiten. Ich orte einen erheblichen Effizienzsteigerungsbedarf im österreichischen Gesundheitswesen. Das beginnt bei der Komplexität der Finanzierungsströme und endet bei der Weiterentwicklung der Versorgungsqualität. Da sprechen wir etwa von einer zu hohen Anzahl an Spitalsstandorten oder von einer verzögerten Implementierung neuer Therapieansätze.
KritikerInnen bemängeln, dass in Österreich Kosten und Nutzen in einzelnen Bereichen – so genannten Silos – angeschaut werden und ein Gesamtbild fehlt. Teilen Sie diese Sicht?
Die Silo-Perspektive hat ein Für und ein Wider. Zunächst kommt es darauf an, dass man Exzellenz in jedem Bereich erzielt. In einem zweiten Schritt ist dann aber darauf zu achten, dass die Exzellenz, die in den einzelnen Silos erreicht wurde, von einem lokalen Optimum zu einem globalen Optimum überführt wird. Dass es also zu einer Interaktion kommt – und genau dort haben wir in Österreich noch ein sehr großes, ungehobenes Potenzial. Denken wir nur an die Notfallversorgung: Da setzen wir nach wie vor unnötig stark auf einen landbasierten Transport mit Rettungsfahrzeugen. Stattdessen könnten wir in einer Lebenszyklus-Betrachtung erhebliche Vorteile nicht nur für die PatientInnen, sondern auch für die Kosten im Gesundheitssystem erzielen, wenn wir vermehrt auf den Transport mit Helikoptern umsteigen würden.
Können Sie das mit Zahlen untermauern?
Selbstverständlich – gemeinsam mit dem Institut für Pharmaökonomie (IPF) haben wir im Auftrag des ÖAMTC eine Studie anhand der Schlaganfall-Erstversorgung durchgeführt. Sie zeigt klar auf, dass der Transport von Schlaganfall-PatientInnen mit dem Rettungshubschrauber auf den ersten Blick teurer ist. Rechnet man jedoch den Nutzen zusätzlicher Lebensjahre ein, fallen bei gesamthafter Betrachtung die Kosten um rund 10.000 € pro PatientIn geringer aus.
Gilt das auch für andere Bereiche?
Durchaus, solche Ergebnisse lassen sich etwa auch für entgangene präventive Wirkungen von physischer Aktivität nachweisen. Doch in der Prävention ist die Umsetzung von Verbesserungen noch schwieriger, denn bei der Verbesserung von Sportangeboten müssten viele verschiedene Institutionen wie die Gebietskörperschaften, die Schulverwaltungen, die Schulen selbst und die Bedarfsträger wie Sportvereine zusammenwirken, um am Ende zu einem höheren Aktivitätslevel zu gelangen.
Woran hapert es also? Am Föderalismus?
Es wird häufig beklagt, dass der heimische Föderalismus der Optimierung des Gesundheitssystems im Wege stehe. Das gilt nicht zuletzt für die Spitalsstandorte. Aber im Föderalismus liegt auch eine Chance. Denn die neun österreichischen Bundesländer stehen in gewisser Weise miteinander im Wettbewerb – auch darin, im Interesse der PatientInnen Innovationen möglichst schnell zu implementieren. Wenn nun ein Bundesland in einem Pilotprojekt sichtbare Verbesserungen für die BürgerInnen erzielt, wird sich daraus eine Vorbildwirkung ergeben. Die anderen Bundesländer werden vermutlich nicht zurückstehen wollen, und so könnten wir uns den Föderalismus sogar zunutze machen.
… und da würden Sie ansetzen, um unser Gesundheitssystem noch besser zu machen?
Genau, ich würde versuchen, mit Pilotprojekten einen partnerschaftlichen Prozess zwischen den Stakeholdern in Gang zu bringen.
Univ.-Prof. Dr. Christian Helmenstein ist Chefökonom der Industriellenvereinigung, Leiter des Economica Instituts für Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Privatuniversität Schloss Seeburg.
© Pixabay
Zahl des Monats
Jede 50ste
wissenschaftliche Publikation europaweit und jede 200ste weltweit hat im Life Science- und Biomedizin-Bereich Bezug zu Wien. Das weist Österreich als regelrechten Forschungs-Hotspot aus.
Quelle: Economica
© accelent communications
Podcast
Am Mikro|skop – Prävention versus Reparaturmedizin
PatientInnen-Daten gibt es nicht nur von Menschen, sondern auch von Kühen. Der Vorteil – bei diesen gibt es keine Diskussion über den Datenschutz. Deshalb dienen sie der Prävention findet sich in nahezu jedem Regierungsprogramm, und auch von österreichischen EntscheidungsträgerInnen werden Präventionskonzepte beschworen. Dennoch kommt die Prävention hierzulande nach Meinung vieler ExpertInnen zu kurz. Deshalb die Frage: Was könnten sinnvolle Präventionsmaßnahmen bewirken? Wo müsste man ansetzen? Und würde sich Prävention gegenüber Reparaturmedizin vielleicht sogar rechnen? Diese Fragen diskutiert Moderatorin Martina Rupp in der neunten Episode von Am Mikro|skop mit Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, und Bernhard Ecker, Präsident des FOPI. Diese und alle anderen Episoden des – gemeinsam mit dem Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) und Chemiereport/Austrian Life Sciences produzierten – Podcasts finden Sie hier: www.chemiereport.at/am-mikroskop
© Roche
Wordrap
Mike Starnawski: Die EU Clinical Trial Regulation könnte von Nachteil sein
Als Medical Director bei Roche Austria sieht Mike Starnawski tatsächlich eine Gefahr in der neuen EU Clinical Regulation, weil Österreich damit den Vorteil eines schnellen Studienstarts verlieren könnte. Er benennt deshalb im Wordrap mehrere Punkte, wo seiner Meinung nach anzusetzen wäre.
Was fasziniert Sie an klinischer Forschung?
Die Möglichkeit, den medizinischen Fortschritt voranzutreiben, unser Wissen über Krankheiten zu erweitern und PatientInnen zu helfen. PatientInnen, die an klinischen Studien teilnehmen, haben sehr oft bessere Chancen auf Heilung oder auf Verbesserung ihrer Lebensqualität.
Was heißt klinische Forschung in Österreich für Sie?
Das wissenschaftliche Ansehen Österreichs in Europa und die Reputation als innovatives Land zu stärken. Enge Zusammenarbeit mit medizinisch-wissenschaftlichen Experten und -Fachgesellschaften ist notwendig, um unser Wissen zu erweitern und eine personalisierte Patientenversorgung zu entwickeln.
Spielt Österreich in der internationalen klinischen Forschung mit oder verlieren wir den Anschluss?
Tatsächlich könnte die neue EU Clinical Trial Regulation für Österreich von Nachteil sein, da aufgrund der vorgegebenen Timelines bei der Einreichung ein schneller Studienstart, bedingt durch eine schnellere Begutachtung durch Ethikkommissionen und Behörden im Vergleich zu anderen Ländern, dann nicht mehr möglich ist.
Wo sind die Pain-Points der klinischen Forschung in Österreich?
Der komplizierte und manchmal langwierige administrative Prozess beim Start einer klinischen Studie im Vergleich zu anderen Ländern. Auch die langsame Umsetzung der Digitalisierung und eine Überinterpretation des Datenschutzes sind weitere Pain-Points.
Was würden Sie benennen, wenn Sie drei Wünsche zur Verbesserung der Lage freihätten?
Die Vereinfachung der Initiierung klinischer Studien in Österreich ist sehr wichtig. Weiters, eine bessere Anerkennung des Wertes klinischer Studien in der österreichischen Bevölkerung. Außerdem, ein gut funktionierendes und landesweites Überweisungssystem von PatientInnen an Studienzentren.
Dr. Mike Starnawski ist seit März 2022 Medical Director von Roche in Österreich. Er promovierte an der Medizinischen Universität Danzig in Polen, hat klinisch als Gynäkologe gearbeitet und seine Doktorarbeit über das Ovarialkarzinom verfasst. Nach seinem Eintritt in die Pharmaindustrie war er in verschiedenen medizinischen Funktionen, sowohl in Roche-Niederlassungen als auch in der Roche-Zentrale in Basel tätig. Zu seinen Aufgaben gehörten führende globale Programme in den Bereichen Brustkrebs, GI-Tumoren, Dermato-Onkologie und Hämatologie. Über die klinische Forschung hinausinteressiert er sich sehr für die Digitalisierung in der Medizin und die medizinische Möglichkeit, der Daten aus Gesundheitssystemen zu gewinnen, um den medizinischen Fortschritt zu beschleunigen und die PatientInnenversorgung zu verbessern.