FOPI.flash Juli 2022

In dieser Ausgabe

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Editorial

Finanzausgleich als Chance

Reformen im österreichischen Gesundheitswesen sind immer auch mit dem Thema Finanzierung verbunden. Oftmals hängen sie davon ab, manchmal scheitern sie sogar daran. Grund genug, die Sache beim Namen zu nennen und übers Geld zu reden – über das Budget für Gesundheit, über die Bedeutung aus volkswirtschaftlicher Sicht und nicht zuletzt über den anstehenden Finanzausgleich, mit dem viele Kostenpositionen verhandelt, geregelt und zugeordnet werden.

Clemens Martin Auer redet als Kenner des Gesundheitssystems im Interview, das Sie gleich im Anschluss lesen können, Klartext. Bemerkenswert sind dabei drei Punkte, bei denen wir mit ihm konform gehen:

  • Er betont, dass das System nicht zwingend mehr Geld benötigt, sondern dass vielmehr auf kluge Weise umgeschichtet werden soll. Ein Fokus auf die Prävention wäre aus unserer Sicht sinnvoll, weil damit weniger für Reparaturmedizin ausgegeben werden muss und ein Kosteneffekt zum Tragen kommt.
  • Weiters betont er, dass für Innovationen immer genug Budget vorhanden war und auch in Zukunft sein sollte. Dem können wir uns nur mit großer Hoffnung anschließen. 
  • Und nicht zuletzt unterstreicht er den Finanzausgleich als Chance, Schwachstellen im System gezielt anzugehen. Auch dem ist nichts hinzuzufügen …

… außer vielleicht: Die Lösungen für die Reformen sollten alle Partner im System nach Möglichkeit gemeinsam entwickeln. Nur dann werden sie akzeptiert, mitgetragen und nachhaltig Wirkung entfalten.

Das FOPI bleibt dazu im Gespräch!


Bernhard Ecker, Anthea Cherednichenko und Michael Kreppel-Friedbichler
Präsidium des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)


CMA

© Clemens Martin Auer

Im Interview

Clemens Martin Auer: Wir brauchen ein neues Kassenvertragssystem

Clemens Martin Auer war über Jahrzehnte hinweg einer der wichtigsten Entscheidungsträger im Gesundheitswesen und gilt auch heute noch als einer der profundesten Kenner und Meinungsbildner. Über die Schwachstellen des Systems, nötige Reformmaßnahmen und den anstehenden Finanzausgleich sprach er im Interview mit FOPI.flash. Nicht zuletzt macht er sich für eine komplette Neuaufstellung des Kassenvertragssystems stark.

Österreich hat ein Problem: Bei uns haben Personen im Schnitt 57 gesunde Lebensjahre, im EU-Durchschnitt sind es 64. Inwieweit haben die Herausforderungen des Gesundheitssystems Einfluss auf den Finanzausgleich? 

Die Zählweise der gesunden Lebensjahre zeigt immer statistische Unschärfen, und möglicherweise liegen wir näher am EU-Durchschnitt dran als diese 57 Lebensjahre suggerieren. Aber ich will das nicht schönreden. Österreich hat einen schlechteren Wert, den man ernst nehmen und als Indikator für die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems heranziehen muss. Der Finanzausgleich ist das Instrument, mit dem man Weichenstellungen vornehmen kann. Über die so genannten 15a-Vereinbarungen zwischen Bund, Ländern und anderen Partnern – in dem Fall der Sozialversicherung – können substanzielle Änderungen auf den Weg gebracht werden. Für den anstehenden Finanzausgleich ist das Jahr 2023 das Jahr der Verhandlungen.

Was erwartet uns in dem Zusammenhang?

Nun, die österreichische Politik muss zunächst herausfinden, was die Herausforderungen des Systems sind. Aus meiner Sicht liegen diese aktuell weniger in der Spitalsversorgung als vielmehr im niedergelassenen Bereich. Das ist in Wahrheit die immer deutlicher werdende Schwachstelle der heimischen Gesundheitsversorgung. Denn es gibt zwar nicht zu wenig Ärzt:innen, aber viel zu wenig Kassenärzt:innen.

Wir geraten da immer mehr in eine Schieflage, die Kritiker:innen zu Recht bereits als „Drei-Klassen-Medizin“ bezeichnen. Und die Selbstverwaltungsorgane der Sozialversicherung und der Ärztekammer haben es in den letzten 15 bis 20 Jahren nicht geschafft, das Kassenvertragssystem zu erneuern. Folge ist: Die Zahl der Kassenärzt:innen stagniert bei einer steigenden Bevölkerungszahl und bei steigender Alterung.

Das muss die Politik bedenken. Denn das ist längst keine Sache mehr, die nur die Stakeholder betrifft. Das geht zu Lasten der Bürger:innen. Wenn ich der Politik einen Rat geben darf, dann muss man das prioritär hoch ansetzen und das Primat der Politik walten lassen. Das heißt, der Gesetzgeber sollte der Selbstverwaltung genau vorgeben, was hier zu tun ist. Sprich: Der Versorgungsauftrag, den die Primärversorgung im Rahmen des Kassenvertragssystems hat, muss gesetzlich wesentlich schärfer definiert werden, damit der Spielraum der Selbstverwaltung eingeengt wird und wir zu einer adäquaten Versorgung kommen. Vielleicht hat das ja auch etwas mit der geringen Anzahl an gesunden Lebensjahren in Österreich zu tun …

Primarprävention ist in Österreich unterdurchschnittlich ausgeprägt, die Krankenhauskosten steigen überdurchschnittlich. Braucht Ihrer Meinung nach das Gesundheitssystem mehr Geld oder kann man diese Themen auch durch Umschichtungen im derzeitigen Gesamtbudget angehen?

Da kommt das Problem zum Tragen, das ich vorher schon angeschnitten habe. Solange wir eine unterdurchschnittlich ausgebaute Primärversorgung haben, werden wir auch nicht zu einer gut funktionierenden Primärprävention kommen. Prävention ist in dem derzeitigen Kassenvertragssystem ein wahnsinnig schwacher Punkt. Natürlich werden die wichtigsten Vorsorgeuntersuchungen abgedeckt. Aber wenn man Prävention ernst nimmt, muss sie in der Sozialversicherungswelt einen viel größeren Stellenwert erhalten.

Das ist keine Kritik an den Ärzt:innen. Die meisten Allgemeinmediziner:innen tun, was sie können. Aber sie sollen vor allem Medizin machen können, und daran werden sie aktuell aufgrund der Vertragssituation in vielerlei Hinsicht gehindert.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wir brauchen ein wirklich neues Kassenvertragssystem, und da muss der Gesetzgeber eingreifen.

Noch einmal nachgefragt: Braucht es für die Prävention mehr Geld oder ließe sich das auch durch Umschichtungen lösen?

Nun, wir geben ohnehin schon sehr viel Geld für das Gesundheitssystem aus. Ich glaube, dass in dem bestehenden Finanzrahmen vieles möglich ist. Wenn es dank besserer Primärversorgung und Prävention weniger Spitalsaufenthalte gibt, dann kommt es automatisch zu Verschiebungen im Gesamtrahmen. Dazu muss es aber Refinanzierungsmaßnahmen geben. Das ist nicht „Rocket Science“, diese Brücken zwischen der Silofinanzierung muss man sich nur ausmachen.

Dazu gibt es auch schon Ansätze wie z.B. die gemeinsame Finanzierung der Dialyse oder die Finanzierung besonderer, innovativer Therapien. Und es gibt auch internationale Beispiele, die man sich ansehen kann.

Da wurden also erste Gehversuche gemacht, und nun müssen diese Ideen verdichtet und im nächsten Finanzausgleich über die 15a-Vereinbarungen festgeschrieben werden. Kurzum: Es braucht nicht rasend viel mehr Geld. Wir benötigen vor allem Umschichtungsmaßnahmen.

Was sind konkrete Finanzierungsmaßnahmen, um den Zugang zu Innovation zu sichern und wird es Neuerungen geben?

Wir haben in den letzten 20 Jahren bewiesen, dass wir Innovation immer finanzieren konnten, und das Medikamentenbudget im niedergelassenen Bereich ist auch groß genug, um Spielraum für Innovationen zu haben. Anders ist es im Spitalsbereich. Da wird man neue Budgetierungsformen für die Innovation brauchen, und da ist auch die pharmazeutische Industrie gefragt. Sinnvoll wären wesentlich transparentere Partnerschaftsmodelle. Denn Kostendiktate haben sich noch nie als zielführend erwiesen.

Wird die Digitalisierung im Finanzausgleich ein Thema sein?

Wesentliche Elemente wie das eRezept oder die eMedikation stehen bereits. Da wird es nicht viele Neuerungen geben. Was ELGA anlangt, ist es so, dass durch den jetzigen Finanzausgleich Implementierung und Betrieb in den Krankenhäusern finanziert ist, aber es gibt keinen Budgetrahmen für Innovation und Ausbau. Das muss im nächsten Finanzausgleich sicherlich festgelegt werden.

Die Schwäche von ELGA liegt erneut in der Ausrollung im niedergelassenen Bereich. Das kostet Geld, und diese Kosten müssen in irgendeiner Form abgegolten werden. Es ist also zu klären, wer diese Kosten trägt. Ein Beispiel: Die Einführung des elektronischen Impfpasses, den wir in der Pandemie dringend gebraucht haben, konnte auch nur durch „Einwurf kleiner Münzen“ entsprechend beschleunigt werden.

Werden konkrete digitale Anwendungen wie etwa die – in Deutschland bereits von der Kasse erstatteten – Gesundheits-Apps eine Rolle spielen?

Ich meine, man darf diese Ideen nicht überschätzen. Sie bringen nur etwas, wenn es keine Einzellösungen sind und sie auch wirklich flächendeckend zum Einsatz kommen. Wir haben mit ELGA ein gutes, flächendeckendes System, in das alle eingebunden sind und das nun ausgebaut werden muss. Innerhalb dessen kann man dann auch in die App-Welt einsteigen.

Doch ich muss bei all dem betonen: Das wäre meine To-do-Liste. Ich bin aber schließlich nur „glücklicher Pensionist“.

Dr. Clemens Martin Auer ist ehemaliger Sektionschef im Gesundheitsministerium und Sonderbeauftragter für Gesundheit und war dieser Funktion 2019 bis 2022 Mitglied und Vize-Präsident des Exekutivrates der Weltgesundheitsorganisation (WHO); seit 2017 ist er Präsident des European Health Forum Gastein.


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© Freepik

Zahl des Monats

Bis zu 12 %

der Gesundheitsausgaben macht das Nutzenpotenzial aus, das durch eine konsequente Digitalisierung des Gesundheitswesens erschlossen werden könnte. Das ergab eine McKinsey-Studie für Deutschland. So könnten Versorgungsqualität und Kosteneffizienz etwa durch Nutzung einer elektronischen Patientenakte, mehr Online-Sprechstunden oder Fernunterstützung chronisch kranker Menschen spürbar verbessert werden. Die Berechnung wurde zwar für unser nördliches Nachbarland erstellt. Die Lösungsansätze lassen sich aber auch gut auf Österreich umlegen: https://bit.ly/3bdo7JT

Quelle: McKinsey & Company, Digitalisierung im Gesundheitswesen: die 42-Milliarden-Euro-Chance für Deutschland



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© accelent communications

Podcast

Am Mikro|skop – Ärzteschaft und Pharmaindustrie

Im Interesse der Patient:innen sollten alle Partner des Gesundheitswesens an einem Strang ziehen. Doch wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft und Pharmaindustrie wirklich? Was sind die rechtlichen und ethischen Grundlagen der Kooperation? Wie funktioniert der Informationsfluss? Was sind Mythen, die nichts mit der Realität zu tun haben? Und wo müsste man tatsächlich etwas verbessern? Diese Fragen diskutiert Moderatorin Martina Rupp in der dreizehnten Episode von Am Mikro|skop mit Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Hilbe, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie, und PD Dr. Johannes Pleiner, Präsident der Gesellschaft für Pharmazeutische Medizin. Diese und alle anderen Episoden des – gemeinsam mit dem Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) und Chemiereport/Austrian Life Sciences produzierten – Podcasts finden Sie hier: www.chemiereport.at/am-mikroskop


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© Bayer Austria

Wordrap

Christian Baumgartner: Klinische Forschung ist wie Raumschiff Enterprise

Klinische Forschung ist für Christian Baumgartner, Cluster Medical Director South Eastern Europe bei BAYER, wie Raumschiff Enterprise. Er schätzt es „neugierig in neue Welten vorzudringen“, wie er im FOPI.Wordrap schildert. Gleichzeitig wünscht er sich ein Bekenntnis zum Forschungsstandort in Form von Finanzierung und Etablierung einer spezialisierten und vernetzten Infrastruktur sowie die breitere datenschutzkonforme Nutzbarkeit von im Gesundheitssystem bereits vorhandenen, anonymisierten Daten.

Was fasziniert Sie an klinischer Forschung?

Klinische Forschung ist, wenn man den Status quo der Behandlung von Krankheiten nicht akzeptiert, sondern versucht, diese besser zu verstehen und Lösungen zu entwickeln, um Patient:innen noch besser zu helfen. Das ist ein wenig wie bei Raumschiff Enterprise: Man stößt neugierig in neue Welten vor.

Was heißt klinische Forschung in Österreich für Sie?

Klinische Forschung ist in einem kleinen Land wie Österreich nicht selbstverständlich. Gleichzeitig sind klinische Studien sowohl für Patient: innen als auch für Angehörige der Gesundheitsberufe aber ein ganz wichtiger Zugang zu innovativen Therapien und Methoden.

Spielt Österreich in der internationalen klinischen Forschung mit oder verlieren wir den Anschluss?

Wir spielen nicht nur mit, wir sind heute auch international sehr erfolgreich und anerkannt. Es braucht aber unseren Einsatz, damit das auch nachhaltig so bleibt. Durch Vereinheitlichungen in der EU Clinical Trial Regulation verliert Österreich seinen bisherigen Vorteil von raschen Studien-Genehmigungsverfahren. Wir können uns also nicht auf unserem Erfolg ausruhen.

Wo sind die Pain-Points der klinischen Forschung in Österreich?

Studien benötigen spezialisiertes Know-how und personelle Ressourcen sowie unkomplizierte Prozesse in der Vorbereitung. Die Vernetzung von niedergelassenem und intramuralem Bereich ist leider heute noch nicht vollständig, und mehr Spezialisierung bei Personal und Infrastruktur wäre wünschenswert.

Was würden Sie benennen, wenn Sie drei Wünsche zur Verbesserung der Lage freihätten?

Ich würde mir ein Bekenntnis zum Forschungsstandort in Form von Finanzierung und Etablierung einer spezialisierten und vernetzten Infrastruktur sowie die breitere datenschutzkonforme Nutzbarkeit von im Gesundheitssystem bereits vorhandenen, anonymisierten Daten wünschen. All das würde dazu beitragen, Österreich international kompetitiv zu halten, und so auch weiterhin Patient:innen Zugang zu innovativen Therapien zu ermöglichen.

Dr. Christian Baumgartner ist seit 2013 bei BAYER AUSTRIA und seit Anfang 2022 BAYER Cluster Medical Director South Eastern Europe.