Innovative Psychopharmaka – Stiefkinder der Medikamentenversorgung?

© KABEG/Helge Bauer
Bei Fragen rund um Medikamente und Therapien denken die Meisten spontan an rein körperliche Erkrankungen oder Verletzungen. Psychische Erkrankungen mit ihrer enormen Verbreitung und ihren gravierenden Auswirkungen werden daher oft auch von der Gesundheitspolitik und den Kostenträger im Gesundheitswesen nicht entsprechend beachtet – obwohl die pharmazeutische Industrie hier immer spezifischere und auch wirtschaftlichere Innovationen entwickelt.
Psychische Erkrankungen mit enormen Auswirkungen
23 % der Frauen und 11 % der Männer[i] gehen mindestens einmal im Leben durch eine Depression. Und unbehandelte psychische Störungen stellen laut WHO 13 % der gesamten globalen Krankheitslast, während 30 bis 50 % der Betroffenen keine angemessene Therapie erhalten. Schon allein diese Fakten zeigen, welchen Impact psychische Erkrankungen in vielfacher Hinsicht haben – nämlich unmittelbar auf das Leben der Betroffenen, aber durch die Kosten von Hospitalisierungen sowie durch Folgewirkungen auf Arbeitsfähigkeit und Produktivität ebenso auf die gesamte Gesellschaft und unser Gesundheitssystem.
„Wer hier spart, der tut dies aus meiner Sicht ganz eindeutig am falschen Platz.“
Bereits für 2021 hat eine Studie von Univ.-Prof. Christian Helmenstein gezeigt, dass unter allen Kosten, die von Erkrankungen verursacht werden (direkte und indirekte Kosten), lediglich 3 % auf die damit verbundenen Arzneimittelkosten entfallen. Ausgerechnet hier ansetzen zu wollen, um die gesamten Kosten in den Griff zu bekommen, ist widersinnig; im Gegenteil würde es enorme Auswirkungen haben, wenn man etwas mehr Geld in die Hand nehmen würde, um einem Großteil der Betroffenen wirksam zu helfen und damit auch Folgekosten massiv zu reduzieren.
Personalisierte Medizin: Challenge für die Erstattung
Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Niemand in Österreich muss befürchten, mit einer psychischen Erkrankung auf einem veralteten Stand der Medizin behandelt zu werden. Aber gerade in den letzten Jahren hat die Forschung hier große Fortschritte gemacht. Deshalb stehen heute bereits sehr spezifische Psychopharmaka zur Verfügung, die auch bei unterschiedlichen Krankheitsverläufen im Sinne einer personalisierten Medizin ganz individuell eingesetzt werden können. Schließlich verläuft eine psychische Erkrankung nie ganz gleich, und es gibt eine Vielzahl an psychiatrischen Symptomen, auf die man mit einem breiten Portfolio an Psychopharmaka zielgerichtet eingehen könnte.
Doch ausgerechnet bei diesen maßgeschneiderten Medikamenten für Patient:innen-Untergruppen hat Österreich auch im Vergleich zu den Nachbarländern etwas den Anschluss verloren. Das äußert sich nicht zuletzt oft darin, dass die Betroffenen die Kosten dafür selbst tragen müssten – und oftmals dazu nicht in der Lage sind. Dass diese Therapien bewährt und von der EMA zugelassen sind, ist dann mehr Hohn als Trost. Der Weg über eine chefärztliche Bewilligung ist zwar möglich, aber für Ambulanzen und Kassenordinationen mit dutzenden Patient:innen pro Tag einfach nicht zu bewältigen.
„So bringt sich Österreich zugleich um den Vorteil, dass Erkenntnisse aus der praktischen Anwendung neuer Psychopharmaka in die weitere Forschung einfließen und damit den Innovationszyklus befeuern.“
Als Folge davon haben Behandler:innen in Österreich etwa bei verschiedenen Formen der Depression eine unnötig verschmälerte Auswahl an Therapieoptionen, obwohl der Stand von Forschung und Medikamentenentwicklung bereits eine viel feiner abgestimmte Behandlung ermöglichen würde.
Generika: Ja, aber …
Konkrete Beispiele dafür sind Medikamente gegen Depressionen, die an unterschiedlichen Botenstoffen im Gehirn ansetzen und daher Patient:innen mit bestimmten Ausprägungen einer Depression besser helfen können, oder ein Antidepressivum, das als Nasenspray verfügbar ist und dadurch wesentlich rascher wirkt. Stichwort „Wirkstoff“: Natürlich denke ich hier auch an erprobte Generika, allerdings muss man eines bedenken: Wenn das Originalpräparat niemals in der Erstattung war, wird wohl kein pharmazeutisches Unternehmen den Wirkstoff in Form eines Generikums auf den lokalen Markt bringen wollen.
Expertise zugänglich machen
Die Zukunft der Psychopharmaka in Österreich muss ganzheitlich, also stets im Kontext der gesamten klinisch-psychologischen bzw. psychiatrischen Behandlung gesehen werden. Zugespitzt formuliert behandeln diese Disziplinen den Menschen und nicht „bloß“ eine Krankheit, und sie bedienen sich dazu einer ganzen Palette wissenschaftlich abgesicherter und empirisch bewährter Therapien und Medikamente. Die Erstattung von klinisch-psychologischer Behandlungen seit Beginn dieses Jahres ist ohne Frage ein wichtiger Meilenstein. Leider sind jedoch von den derzeit 1.800 Fachärzt:innen für Psychiatrie in Österreich lediglich 160 mit einem Kassenvertrag ausgestattet – was die Situation für Menschen, die Hilfe brauchen, extrem erschwert.
„Dabei wäre es für die Vermeidung von Chronifizierungen und für die Erstellung von Gesamtbehandlungsplänen unerlässlich, dass Patient:innen Zugang zu dieser Expertise bekommen.“
Dazu wäre auch die Ausbildung der Psychotherapeut:innen in die Richtung zu ergänzen, dass diese mit Sicherheit erkennen können, wann aufgrund des Krankheitsbildes ein Medikament bzw. die Überweisung zum/zur Fachärzt:in geboten ist. Leider wurde diese Chance beim neuen Psychotherapiegesetz vergeben, eine klinisch-psychiatrische Ausbildung vorzuschreiben.
Was dringend nötig ist
Für die Zukunft ist aus meiner Sicht geboten, dass jede:r Patient:in in ganz Österreich binnen 2-3 Wochen verlässlich einen Termin beim Kassen-Facharzt bzw. Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin bekommen kann – und dass alle dort empfohlenen Behandlungen (ob medikamentös oder nicht) voll erstattet werden.
Prim.a Dr.in Christa Rados war 13 Jahre lang Abteilungsvorstand an der Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin am LKH Villach sowie langjährige Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik und ist derzeit fachliche Leiterin der Psychosozialen Therapiezentren Kärntens.
[i] Konsensus der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie