FOPI.flash Dezember 2024
In dieser Ausgabe
- Editorial: Der Wert von Innovation
- Gastkommentar: Zusammenarbeit ist klarer politischer Auftrag
- Zahl des Monats: 4,4 %
- Interview: George Tousimis – Forderungspapiere reichen nicht
- Podcast: eHealth und Inklusion – Freund oder Feind?
- Webinar: Meine Rechte im Krankenhaus
Editorial
Der Wert von innovativen Medikamenten
Die Wissenschafts-Community in den Vereinigten Statten blickt mit großen Bedenken auf den Antritt des designierten US-Gesundheitsministers Robert Kennedy Jr. Er sorgte mit seiner Wissenschaftsskepsis und seinen kruden Theorien nicht nur für Kopfschütteln, sondern drohte auch der forschenden Pharmaindustrie mit Einschränkungen und Umstrukturierungen in den Bundesgesundheitsbehörden. Das verlieh auch den wissenschaftskritischen und für Verschwörungstheorien empfänglichen Gruppen in Europa Rückenwind – und ist deshalb für Expert:innen auf der ganz Welt Anlass zur Sorge.
Für alle jene, die sich für Forschung zum Wohl von Patient:innen einsetzen und vor allem den Betroffenen von schweren oder lebensbedrohlichen Krankheiten helfen wollen, könnte das weitreichende Rückschläge bedeuten.
Wir werden uns als forschende Pharmaindustrie davon nicht ablenken oder bremsen lassen. Vielmehr werden wir mit noch mehr Einsatz und Nachdruck forschen und für den Zugang zu innovativen Arzneimitteln kämpfen. Denn neue Medikamente haben einen unschätzbaren Wert – für Patient:innen und für die Gesellschaft.
Das macht George Tousimis klar, der vor kurzem offiziell als Vizepräsident des FOPI gewählt wurde und FOPI.flash in dieser Funktion ein Interview gab.
Und das spiegelt sich auch in unseren Arbeitsschwerpunkten wider, die von den drei Workstreams „Access to Innovation“, „Value to Patients“ und „Value to Society“ getragen werden.
Diesem Anspruch werden wir 2025 unverändert treu bleiben und wünschen Ihnen in diesem Sinne frohe Festtage und einen guten Jahreswechsel.
Julia Guizani, Leif Moll und George Tousimis
Präsidium des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)
Gastkommentar
Zusammenarbeit ist klarer politischer Auftrag
Österreich verfügt über ein gut ausgebautes und hoch differenziertes solidarisches Gesundheitssystem, das den Anspruch erhebt, allen Menschen in unserem Land die richtige medizinische Versorgung auf höchstem Niveau zur Verfügung zu stellen. Ein wesentlicher Bestandteil zur Erfüllung dieses Ziels ist die zeitnahe und nachhaltige Bereitstellung innovativer Arzneimittel, ist Josef Smolle, langjähriger Gesundheitssprecher der ÖVP, überzeugt. Das neu eingeführte Bewertungsboard hat nun die Aufgabe, diese Innovationen rasch und gerecht zugänglich zu machen, wenngleich die Entscheidungshoheit über den Einsatz von Therapien in letzter Konsequenz bei den behandelnden Ärzt:innen liegt, betont er in seinem Gastkommentar für FOPI.flash.
Eine moderne Medizin ist ohne Arzneimittel nicht denkbar, und gerade die großen Fortschritte der letzten Jahrzehnte sind zu einem großen Teil der Entwicklung zu verdanken, die durch enge Vernetzung von Grundlagenforschung, angewandter Forschung und klinischer Erprobung möglich geworden ist. Dies geschieht am wirkungsvollsten in enger Zusammenarbeit zwischen akademischen Einrichtungen, der forschenden pharmazeutischen Industrie und den großen Krankenhäusern, namentlich den Universitätskliniken.
Österreich verfügt über ein gut ausgebautes und hoch differenziertes solidarisches Gesundheitssystem, das den Anspruch erhebt, allen Menschen in unserem Land die richtige medizinische Versorgung auf höchstem Niveau zur Verfügung zu stellen, und das unabhängig von Herkunft, Einkommen, Bildungsgrad und sozialem Status. Ein wesentlicher Bestandteil zur Erfüllung dieses Ziels ist die zeitnahe und nachhaltige Bereitstellung innovativer Arzneimittel. Dank dieser Innovationen ist es gelungen, Krankheiten, die bislang beinahe unbehandelbar waren – ich denke da z.B. an das metastasierte maligne Melanom aus meinem Fach, der Dermatologie – erfolgreich zu therapieren, sodass wertvolle Lebensjahre mit guter Lebensqualität gewonnen werden konnten und immer wieder auch langfristige Heilungen gelingen.
Arzneimittelkosten sind hohen Entwicklungskosten geschuldet
Innovative Arzneimittel werden oft mit einem initial hohen Preis auf den Markt gebracht, was u.a. den Entwicklungskosten und den damit verbundenen Aufwendungen und Risiken geschuldet ist. Österreich ist derzeit eines jener europäischen Länder, das pharmazeutische Innovationen im intramuralen Bereich, d.h. in den Kliniken und Spitälern, sehr rasch verfügbar macht. Dagegen erfolgt der Übergang in die Erstattung für den niedergelassenen Bereich mit einer gewissen Verzögerung, was mit der nach wie vor großen Spitalslastigkeit unseres Gesundheitswesens zu begründen ist.
Entsprechend den Bestimmungen im Krankenanstaltengesetz verfügen Krankenhäuser schon seit langem über Arzneimittelkommissionen, die bewerten, welche der neu zugelassenen Therapien unter welchen Bedingungen bei welcher Gruppe von Patientinnen und Patienten angewendet werden sollen. Das hat teilweise zu Unterschieden zwischen einzelnen Bundesländern und entsprechendem „Patiententourismus“ geführt. Im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen für die Jahre 2024 – 2028 wurde nun ein Bewertungsboard auf Bundesebene eingeführt, das einheitliche Einschätzungen unter Beiziehung externer Expertise mit Empfehlungscharakter für ganz Österreich erarbeitet. Mit der Anwendung einer solchen Therapie ist aber keinesfalls auf die Empfehlung des Boards zu warten. Liegt eine solche vor, dann bietet sie eine fundierte, transparente bundesweite Orientierung, und es wird einem Standort kaum möglich sein, gegen diese Empfehlung jemanden die neue Behandlung vorzuenthalten. Weiterhin liegt die Entscheidungshoheit bei der behandelnden Ärzteschaft, und über die Empfehlung hinausgehende Applikationen sind in begründeten Fällen natürlich möglich.
Zusätzlich zu diesen unmittelbaren Bewertungen hat das Board auch eine Aufgabe im Vorfeld und im Nachgang. Im Vorfeld gehört das Horizon Scanning dazu, d.h. das aktive Beobachten der wissenschaftlichen Entwicklung, sodass man sich schon frühzeitig mit Innovationen befassen kann, die voraussichtlich in den nächsten Jahren zugelassen werden dürften. Nach Zulassung und nach der Bewertung durch das Board besteht eine zusätzliche Aufgabe darin, den Übergang von der intramuralen Versorgung zur Erstattung im niedergelassenen Bereich vorzubereiten.
Innovationen rasch und gerecht verfügbar machen
Das Bewertungsboard hat in der zweiten Jahreshälfte 2024 die Arbeit aufgenommen. Bei allen Beteiligten besteht die klare Bereitschaft, die geschilderten Prozesse mit dem Ziel der raschen und gerechten Verfügbarmachung von Innovationen konstruktiv umzusetzen.
Damit die Versorgung mit neuen Therapien langfristig gesichert bleibt, sind eine Wissenschafts-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik nötig, die Österreich als einen attraktiven Standort für Forschung und Entwicklung festigen. Dazu bedarf es einer breiten Perspektive, die klassische Wirtschaftsfaktoren wie Qualifikation der Arbeitskräfte, Lohnkosten und Lohnnebenkosten, Steuersystematik, Bewilligungsverfahren und Lebensqualität berücksichtigt, ebenso aber auch auf ein starkes wissenschaftliches Umfeld mit den Universitäten, der Forschungsförderung für Betriebe, auf einen guten Boden für klinische Studien und nicht zuletzt auf die Preisgestaltung und Verfügbarmachung von Arzneimitteln Bedacht nimmt.
Dass hier bei den Universitäten einiges gelungen ist, zeigt das jüngst veröffentlichte aktuelle Times-Higher-Education-Ranking: In Österreich liegt die Universität Wien als mit Abstand größte Einrichtung an der Spitze, dahinter reihen sich aber schon die drei MedUnis Wien, Graz und Innsbruck ein. Die Krankenhäuser wiederum tun gut daran, sich möglichst breit an klinischen Studien zu beteiligen. Damit gelingt es nicht nur, neueste therapeutische Ansätze noch vor der Zulassung den österreichischen Patientinnen und Patienten zugänglich zu machen; darüber hinaus gibt es nämlich Daten, dass in Krankenhäusern mit vielen klinischen Studien der Outcome auch jener Patientinnen und Patienten besser wird, die nicht in eine Studie eingeschlossen sind.
Somit wird uns ein optimales Zusammenwirken der verschiedenen Sektoren und deren Unterstützung zur Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung einer zeitgemäßen, dem Stand der internationalen Forschung entsprechenden Gesundheitsversorgung weiterhin und verstärkt ein klarer politischer Auftrag sein.
Dr. Josef Smolle war stationsführender Oberarzt an der Universitätsklinik für Dermatologie, Mitglied des Obersten Sanitätsrates und Rektor der Medizinischen Universität Graz. Außerdem gehört er dem Österreichischen Nationalrat als Abgeordneter von 2019 bis 2024 an, und war zuletzt auch Gesundheitssprecher der ÖVP.
Zahl des Monats
4,4 %
Um durchschnittlich 4,4 % pro Jahr sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Pharmabereich in der EU zwischen 2010 und 2022 gewachsen – und zwar von 27,8 Mrd. Euro auf 46,2 Mrd. Euro. Das ergab eine von EFPIA veröffentlichte neue Studie, die den wirtschaftlichen Fußabdruck der Pharmaindustrie in Europa beleuchtet. Die Erhebung zeigt eine „starke Branche“, legt aber gleichzeitig einmal mehr die größer werdende Kluft bei den F&E-Ausgaben zwischen der EU und anderen Teilen der Welt offen. Im gleichen Zeitraum stiegen nämlich die F&E-Ausgaben in den USA um 5,5 % und in China um 20,7 %. Der Report im Detail ist hier nachzulesen.
Quelle: Economic footprint of the pharmaceutical industry in Europe; PwC/EFPIA; November 2024
Interview
George Tousimis über sein Engagement im FOPI: Forderungspapiere reichen nicht
Uns geht es darum, gemeinsam mit den anderen Playern des Gesundheitssystems für die Patient:innen Lösungen zu schaffen – reine Forderungspapiere zu erstellen ist hier nicht der Weg, skizziert der neu gewählte FOPI-Vizepräsident George Tousimis sein Verständnis für seine neue Rolle im Verband der forschenden Pharmaunternehmen. Welche inhaltlichen Schwerpunkte er dabei setzen will, verrät er im Interview mit FOPI.flash.
Sie sind seit ein paar Monaten FOPI Vize-Präsident, aber schon länger im Verband engagiert. In aller Kürze – was zeichnet das FOPI für Sie aus?
Das FOPI ist für mich vor allem eines: Ein gemeinsames Engagement für ein besseres Gesundheitssystem. Das ist auch wichtig, denn nur gemeinsam können wir die Entwicklungen und Herausforderungen, die vor uns liegen auch meistern. Dafür müssen alle Stakeholder an einem Tisch sitzen und auf Augenhöhe miteinander sprechen.
Was motiviert Sie, sich neben Ihrer Position als General Manager von Amgen in Österreich auch noch für die forschende Pharmaindustrie zu engagieren?
Amgen Österreich ist seit rund einem Jahr wieder Mitglied des FOPI – und hat sich in den letzten Monaten als Team verstärkt eingebracht. Das ist aus mehrerlei Gründen wichtig: Uns geht es um die großen Themen und darum, gemeinsam mit den anderen Playern des Gesundheitssystems für die Patient:innen Lösungen zu schaffen – reine Forderungspapiere zu erstellen ist hier nicht der Weg, den wir einschlagen möchten. Das österreichische Gesundheitssystem ist sehr komplex, geprägt von dezentralen Strukturen. Dazu kommen disruptive Megatrends wie Big Data und Künstliche Intelligenz, die vieles in einem nie dagewesenen Tempo verändern. Wir möchten dazu beitragen, dieses System fit für die Zukunft zu machen.
Wo wollen Sie Schwerpunkte setzen? Welche Projekte und Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?
Es gibt viele Punkte, in denen Österreich stark ist: zum Beispiel bei den hochqualifizierten Fachkräften und den ausgezeichneten wissenschaftlichen Einrichtungen. Aber es gibt auch einige Herausforderungen, die wir gemeinsam angehen müssen. Dazu gehören Regulierungsprozesse, die manchmal zu lange dauern und Innovationen verzögern, oder auch der Wettbewerb um Fachkräfte, die global sehr gefragt sind. Zudem muss das Verständnis für die Wichtigkeit von Forschung und Innovation auch auf politischer Ebene stärker verankert werden. Eine verlässliche Finanzierung und Investitionsförderung sind ebenfalls entscheidend. Nur wenn alle Akteure – von der Politik über die Forschungseinrichtungen bis hin zu Unternehmen und Patient:innenenorganisationen – zusammenarbeiten, können wir eine starke und zukunftsfähige Versorgung sichern.
Woran wird man später mal Ihre Handschrift erkennen?
Ich setze mich für einen klaren Rahmen für die gesamte Pharmabranche in Österreich ein. Denn im Interesse der Menschen und nächsten Generationen müssen wir auch hierzulande unseren Beitrag leisten, damit Europa in punkto Innovation weiterhin ganz vorne mit dabei ist. Unser Gesundheitssystem befindet sich vor einer dringend nötigen Transformation. Reformen müssen sich dabei an den Bedürfnissen der Patient:innen orientieren sowie die Innovationskraft, klinische Forschung und Digitalisierung stärken.
George Tousimis ist ein erfahrener Manager im Gesundheitssektor. Seit 2023 ist er Geschäftsführer von Amgen Österreich, davor war er unter anderem als Country Director für Amgen Greece & Cyp-rus bzw. in unterschiedlichsten Funktionen bei Novartis tätig. Zusätzlich verfügt er als Vizepräsident des PhRMA Innovation Forums Griechenland und Mitglied des Board of Directors der Greek-American Chamber of Commerce über umfangreiche Erfahrung in der Verbandsarbeit. Tousimis hat einen Master in Chemieingenieurwesen sowie einen MBA und spricht mehrere Sprachen fließend.
Podcast
Am Mikro|skop: eHealth und Inklusion – Freund oder Feind?
Wer in Österreich lebt, soll gerechte Chancen haben, gesund zu bleiben oder gesund zu werden – unabhängig von Herkunft, Wohnumgebung oder Geschlecht. So steht es in den „Gesundheitszielen Österreich“. Doch lässt sich das angesichts der zunehmenden Digitalisierung des Gesundheitswesens verwirklichen? Drohen wir nicht gerade durch eHealth, Menschen zurückzulassen? Darüber spricht Moderatorin Martina Rupp in der 34. Episode von „Am Mikro|skop“ mit Priv.-Doz. Prof. (FH) Mona Dür, PhD, MSc, Gründerin von Duervation, einem Beratungsunternehmen mit Fokus auf Gesundheitstechnologien, sowie mit Helene Prenner, MA, Project and Program Manager bei ELGA GmbH.
Diese und alle anderen Episoden des – gemeinsam mit dem Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) und Chemiereport/Austrian Life Sciences produzierten – Podcasts finden Sie hier: https://fopi.at/fopi-podcast/episode-34/
Die Produktion dieser Episode wurde von Merck unterstützt.
Webinar
Meine Rechte im Krankenhaus
Wie finde ich ein geeignetes Krankenhaus für meine Behandlung? Welche Rechte habe ich im Spital? Wer entscheidet, welche Therapie ich bekomme? Und wie kann ich bei der Therapiewahl mitentscheiden? Diese Fragen stellen sich viele Patient:innen, weshalb selpers, die Plattform für Patient:innen und Angehörige, gemeinsam mit Dr.in Karin Prutsch-Lang eine Online-Kurs-Reihe produziert hat. Karin Prutsch-Lang ist Rechtsanwältin, Autorin des Buches „Die ärztliche Aufklärung“ und seit mehr als 20 Jahren Expertin im Bereich Medizinrecht. Sie beschäftigt sich insbesondere mit dem Arzthaftungs- und Patientenrecht und vertritt Patient:innen und deren Angehörige in Bezug auf Behandlungen. Dieses Wissen ist nun auch niederschwellig zugänglich unter https://selpers.com/patientenrechte/meine-rechte-im-krankenhaus/