FOPI.flash Jänner 2021

In dieser Ausgabe

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Editorial

Pharmaindustrie als Heilsbringer?

Der Dynamik der Zeit entsprechend erscheint der FOPI.flash künftig in neuem, knapperem Gewand. Ausreichend Raum geben wir aber weiterhin Fakten, Einsichten und Ausblicken. So widmen wir uns in dieser Ausgabe vor allem der besonderen Rolle der Pharmaindustrie in der COVID-19-Krise.

Beginnend vor rund einem Jahr hat die Pharmaindustrie eine neue Bedeutung bekommen. Während vor allem die global agierenden Pharmaunternehmen über Jahrzehnte hinweg als Sinnbild für rein gewinnorientierte, oft skrupellose Konzerne galten, werden sie jetzt vielfach in die Rolle als Heilsbringer gedrängt. Die gesamte Welt wartet auf wirksame Impfstoffe und Therapeutika gegen COVID-19, die der Pandemie ein Ende setzen. Doch kann die forschende Pharmaindustrie dieser Erwartungshaltung gerecht werden? Und was bedeutet diese neue Position im Gefüge und in der Zusammenarbeit innerhalb des Gesundheitssystems?

Die Pharmaindustrie kann durch intensive Forschung ohne Zweifel Wesentliches zur Beendigung der Pandemie beitragen und wirksame Gegenmittel zur Verfügung stellen. Sie ist auch bereit, darüber hinaus Verantwortung zu übernehmen, sich stärker in die Gestaltung des Gesundheitswesens einzubringen und gesamtheitlich zu denken. Gleichzeitig erwarten wir, nein fordern wir aber von unseren Gegenübern, uns forschenden Pharmaunternehmen auf Augenhöhe zu begegnen, Ideen ernst zu nehmen und Lösungen ehrlich gemeint gemeinsam zu finden. Das ist nicht nur in der Krise ein Gebot der Stunde. Es würde auch generell Energien freisetzen, im Hick-Hack entstandene Reibungsverluste vermeiden und rasche Verbesserungen möglich machen. Die Krise hat jedenfalls gezeigt – es geht, wenn man es will.

Tuba Albayrak & Wolfgang Kaps
Vize-PräsidentInnen des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)

Hutter (c) Dujmic_900

Bild © Dujmic

Interview

Hans-Peter Hutter: Das hätten wir uns nicht träumen lassen

Public Health-Experte Hans-Peter Hutter über ein wenig ausgeprägtes Verständnis von Wissenschaft in Österreich, die COVID-19-Krise als Chance sowie die Erfahrung, dass die Politik im Fall des Falles rigide Entscheidungen trifft und durchzieht.

Im Zuge der COVID-19-Krise hat sich deutlich gezeigt, dass in der breiten Öffentlichkeit nur ein geringes Verständnis über Arzneimittelforschung besteht. Wie schätzen Sie das Wissen der ÖsterreicherInnen auf dem Gebiet ein?

Wie in vielen anderen wissenschaftlichen Bereichen ist das Wissen der Bevölkerung über Arzneimittelforschung und -entwicklung ziemlich gering. Das zeigt sich aktuell besonders plastisch in der Diskussion über die COVID-19-Impfungen. Es ist klar, dass nicht jeder weiß, was eine Phase III-Studie ist oder wie die Zulassung erfolgt. Aber dass auch kein Grundverständnis besteht, was Wissenschaft ausmacht, ist schon erschütternd. Es ist praktisch kaum bekannt, wie Wissenschaft arbeitet, welche Methoden zum Einsatz kommen, wie Untersuchungen gemacht werden und dass Studienergebnisse erst nach einer Begutachtung (Peer Review) in einer Fachzeitschrift veröffentlicht werden können. Das hat leider auch zur Folge, dass sich in so einer Situation einige in der Öffentlichkeit als WissenschaftlerInnen darstellen können, die kaum oder keine Publikationen in Fachzeitschriften vorweisen können. Gleichzeitig ist diese Pandemie aber auch eine Chance, Wissenschaft an sich stärker ins gesellschaftliche Licht zu rücken und zu erklären.

Wo müsste dabei Ihrer Meinung nach angesetzt werden?

Vor allem in der Art der Präsentation von Wissenschaft. ExpertInnen werden mit hoch gestochener Fachsprache die Menschen nicht erreichen. Es ist wichtig, die Adressaten im Blick zu haben. Viele sind fachfremd oder haben ein anderes Bildungsniveau. Wenn ich von ihnen verstanden werden möchte, muss ich einen anderen Weg gehen. Das ist zweifellos eine Herausforderung, denn es ist nicht einfach, wissenschaftliche oder komplizierte Fakten in ihrer ganzen Differenziertheit zu transportieren. Da braucht es Mut zur Lücke, Mut zur Unschärfe und letztlich auch Mut zur Verkürzung. Egal, ob in einem Zeitungsinterview oder in einem Fernsehbeitrag – man muss rasch zum Punkt kommen. Entweder man traut sich die Botschaft möglichst gut zu verkürzen oder jemand anderer macht’s, der sich vielleicht nicht so gut auskennt, oder die Botschaft wird gar nicht gebracht.

Welche Mythen und Missverständnisse gibt es über Arzneimittelforschung und -produktion im besonderen Fall von COVID-19?

Oh, da gibt es eine Reihe kursierender Missverständnisse. Ein gutes Beispiel ist die Entwicklungsdauer für einen Impfstoff. Es ist bekannt, dass unter normalen Umständen die Entwicklung im Mittel zehn bis zwölf Jahre braucht, und nun werden im Fall von COVID-19 nach einem dreiviertel Jahr die ersten Impfstoffe auf den Markt gebracht. Da ist es aufgelegt, dass Gerüchte entstehen, dass Vermutungen über mögliche Mauscheleien zwischen Pharmaindustrie und Behörden angestellt werden und dass so Befürchtungen geweckt werden, dass uns ein unreifer Impfstoff serviert wird. Folglich muss man die Abläufe erklären und deutlich machen, warum in diesem Fall eine Beschleunigung möglich war. Das heißt, man muss diese Zulassungsprozesse begreiflich machen (Stichwort Rolling Review-Verfahren) und etwa auf die bereits vorher vorhandenen Forschungsgrundlagen eingehen – und zwar frühzeitig und proaktiv. Wenn Falschinformationen einmal über Social Media quasi viral kursieren, hat man kaum noch eine Chance sie „einzufangen“ bzw. richtigzustellen.

Die Pharmaindustrie kann dafür Unterlagen bereitstellen. Aber ob sie sich in die erste Reihe stellen sollte, ist für mich fraglich. Viele werden daran zweifeln, dass sie völlig objektiv und uneigennützig argumentiert. Es ist auch gewissermaßen nachvollziehbar, dass jemand, der von seinem Produkt überzeugt ist, nicht ganz unbeeinflusst argumentieren kann. Daher sollten diese „Erklärfunktion“ glaubwürdige, unabhängige Stellen übernehmen, die ohne Interessenskonflikte transparent und weisungsfrei kommunizieren können. In den USA ist das ein Expertenrat. Bei uns könnte das etwa der oberste Sanitätsrat übernehmen.

Welche Rolle spielt hier Public Health?

Public Health-ExpertInnen haben die Aufgabe, das Ganze im Blick zu behalten. Am konkreten Beispiel: Die jetzt viel diskutierte Impfung gegen COVID-19 ist nur eine sehr, sehr wichtige Säule der Public Health-Strategie neben anderen Maßnahmen der Vorsorge und Infektionsbekämpfung (u.a. Contact Tracing, gezieltes Testen). Aber etwa aus psychosozialer Sicht gibt es eben auch andere Schwerpunkte als von rein epidemiologischer Warte aus gesehen. Gegen die Ausbreitung des Virus ist es vielleicht am besten, alles lange Zeit komplett zu schließen. Doch für die Bildung, die Entwicklung unserer Kinder und unsere Arbeitswelt ist das eine Katastrophe. Also braucht es einen durchdachten (Mittel)Weg, eine differenzierte Sicht der Dinge.

Was sind für Sie Learnings aus der Krise für künftige, vergleichbare Situationen?

Die wichtigste Erfahrung war: Die Politik hat gezeigt, dass sie rigide Entscheidungen treffen und harte Maßnahmen umsetzen kann – unter Einbeziehung wissenschaftlicher ExpertInnen. Das hätten wir uns vorher in dieser Form nicht träumen lassen, und das wäre beispielsweise bei Klimaschutzmaßnahmen immer noch undenkbar. Obwohl es haufenweise wissenschaftliche Evidenz dafür gibt. Mit dieser Erfahrung hoffe ich, dass in Zukunft auch in anderen Bereichen – eben etwa im Klima- oder Biodiversitätsschutz – Maßnahmen ebenso konsequent umgesetzt und wissenschaftlich begleitet werden.

OA Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. med. Hans-Peter Hutter studierte Landschaftsökologie und Landschaftsgestaltung an der Universität für Bodenkultur sowie Medizin an der Universität Wien. Zunächst war er mehrere Jahre als Physikatsarzt im öffentlichen Gesundheitswesen in Wien tätig (Institut für Umweltmedizin). 2005 wurde er Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie mit Schwerpunkt Umwelt- und Präventivmedizin, seit 2015 ist er stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health (ZPH) der Medizinischen Universität Wien.

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Video

GÖG-Geschäftsführer Herwig Ostermann

GÖG-Geschäftsführer Herwig Ostermann über die Notwendigkeit von Wissenschaft und Forschung. Alle Videos zum Thema in der Playlist „COVID-19-Grünbuch“ im FOPI YouTube-Kanal Wer auf dem Laufenden bleiben will, kann hier gleich den Kanal abonnieren.

© Katharina Schiffl

Bild © Katharina Schiffl

FOPI Führungspersönlichkeiten im Gespräch

Elisabeth Keil: Innovativ ist per se kein Qualitätskriterium

Woran Arzneimittel-Innovationen gemessen werden sollten und wie es um die Versorgung der ÖsterreicherInnen mit neuen Medikamenten steht, beschreibt Mag. (FH) Elisabeth Keil, Country Managerin von Daiichi Sankyo Österreich, im Interview mit FOPI.flash.

Sie konnten internationale Erfahrungen sammeln und haben zweifellos einen differenzierten Blick auf den österreichischen Gesundheitssektor. Welche Trends nehmen Sie wahr? Wie wird der Wert von Arzneimittel-Innovationen gesehen?
Die rezente Pandemie hat uns gezwungenermaßen einen „Innovationsschub“ im digitalen Bereich beschert. Vieles, was früher lange hin und her diskutiert wurde, musste plötzlich funktionieren und wurde in weiten Teilen auch gut angenommen – z.B. im Bereich der Telemedizin, die speziell für chronisch kranke Patientinnen und Patienten essenziell sein kann.

Was Arzneimittel-Innovationen betrifft: „Innovativ“ per se ist ja kein Qualitätskriterium. Innovation kann sich nur dann durchsetzen, wenn diese eine deutliche Verbesserung der Patientenversorgung bringt, also eine signifikante und langanhaltende Verbesserung des Gesundheitszustandes oder signifikant höhere Überlebensraten. Lebensqualität ist ein Parameter, der meines Erachtens allerdings noch zu wenig Beachtung findet. Es ist damit zu rechnen, dass bei knapper werdenden Ressourcen diese weiter reduziert werden oder aber im besten Fall nach etablierten Qualitätskriterien bewertet wird. Gut funktionierende Systeme aus anderen Ländern könnten evaluiert und als Stimulus in Österreich initiiert werden. Anzudenken wäre auch, verlässliche und gut strukturierte Daten, wie zum Beispiel aus den nordischen Ländern, auf Österreich zu extrapolieren. Denn zum heutigen Zeitpunkt scheint es eher unwahrscheinlich, dass in Österreich kurz- bis mittelfristig relevante Patientenregister der verschiedensten Entitäten verfügbar sein werden. Dazu benötigt es das Zusammenspiel aller Akteure. Hier liegt großes Potenzial, um Erkenntnisstände abzugleichen und weitere Maßnahmen zu generieren.

Was schätzen Sie am österreichischen System?

Das österreichische Gesundheitswesen bietet im Vergleich zu anderen Ländern einen niederschwelligen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, d.h. unabhängig von sozialem Status oder Erkrankungsbild stehen Patientinnen und Patienten hervorragende medizinische Standards zur Verfügung. Generell ist zu sagen, dass in Österreich relativ häufiger das Spital aufgesucht wird als im EU-Schnitt, das System also insgesamt auf die intramurale Versorgung abzielt. Diese (kostenintensive) Struktur, die schon oftmalig öffentlich diskutiert (und kritisiert) wurde, hat sich im Brennpunkt der COVID-19 Pandemie mitunter als vorteilhaft erwiesen, wenngleich die reine Diskussion um Spitals- oder Intensivbetten sicher zu kurz gegriffen war. Herausfordernd ist sicherlich die Fragmentierung zwischen intra- und extramuralem Bereich. Der Prävention wird wenig bis gar kein Stellenwert eingeräumt, stattdessen läuft vieles noch unter dem Motto „Reparaturmedizin“, d.h. es werden die Folgen, nicht aber die Ursachen behandelt. Room for improvement gibt es ebenfalls im Bereich Digital Health, wenngleich uns Corona auch hier einen – hoffentlich nachhaltigen – Schritt nach vorne gebracht hat. 

Können Sie über ein Beispiel aus Ihrem unmittelbaren Bereich berichten, das sinnbildlich für Ihre Einschätzung stehen kann?

Ich denke, die Industrie hat sich in dieser Pandemie an vielen Stellen als zuverlässiger und umsetzungsstarker Partner gezeigt, sei es nun in der Entwicklung eines Impfstoffes oder mit einer durchaus krisenfesten Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten.

Was müsste getan werden, damit die Versorgung heimischer PatientInnen mit innovativen Arzneimitteln für die Zukunft sichergestellt ist?

In Österreich ist bis dato der Zugang zu innovativen Arzteimitteln im intramuralen Bereich vergleichsweise rasch gegeben. Das föderalistische System ist einem einheitlichen Zugang zu innovativen Therapien allerdings eher abträglich. Wichtig ist, schon an der Basis eine valide Forschungsinfrastruktur und faire Marktbedingungen zu gewährleisten. Damit meine ich nicht nur angemessene Arzneimittelpreise, sondern auch eine valide Bewertung von Therapien, auch nach Zulassung. Die Dokumentation von Effektivität, Nebenwirkungen, Compliance sowie Gründe für Therapieabbrüche. Gute, effektive Arzneimittel sind nicht nur für PatientInnen von Nutzen, sondern für das gesamte System. Wünschenswert wäre auch die Dokumentation der Schnittstellenversorgung intra-extramural oder eine zentrale Erfassung von Patientendaten und Therapieeffizienz. Es werden auch immer wieder unterschiedliche Ansätze zur Finanzierung und Bewertung von Innovation diskutiert, „Risk Sharing Modelle“ oder „Pay for Performance“ etwa. Es ist aber leider zu erwarten, dass es durch den wirtschaftlichen Impact der COVID-19-Pandemie eher zu generellen und wenig differenzierten Sparmaßnahmen kommen wird. Insofern spreche ich mich natürlich für eine transparente Diskussion und Entscheidungsfindung im Sinne der Patientinnen und Patienten aus.

Über Daiichi Sankyo

Die Daiichi Sankyo Gruppe widmet sich der Entwicklung und Bereitstellung innovativer pharmazeutischer Therapien, um Versorgungsstandards zu verbessern und den vielfältigen, ungedeckten medizinischen Bedarf der Menschen weltweit zu decken, indem wir unsere erstklassige Wissenschaft und Technologie nutzen. Mit mehr als 100 Jahren wissenschaftlicher Expertise und einer Präsenz in mehr als 20 Ländern können Daiichi Sankyo und seine 15.000 MitarbeiterInnen weltweit auf ein reiches Erbe an Innovationen und eine robuste Pipeline an vielversprechenden neuen Medikamenten zurückgreifen, um Menschen zu helfen. Neben einem starken Portfolio an Medikamenten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen konzentriert sich Daiichi Sankyo im Rahmen der Konzernvision 2025, ein „Global Pharma Innovator with Competitive Advantage in Oncology“ zu werden, vor allem auf die Bereitstellung neuartiger Therapien in der Onkologie sowie auf andere Forschungsbereiche rund um seltene Krankheiten und Immunerkrankungen. Weitere Informationen unter www.daiichisankyo.com

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Forschungsprojekte zu COVID-19-Impfstoffen sind aktuell im Laufen. Denn eine Impfung gilt als einzige nachhaltige Lösung zur Eindämmung der Pandemie. Deshalb arbeiten Universitäten, Forschungsinstitute und forschende Pharmaindustrie mit Hochdruck an der Entwicklung einer maßgeschneiderten Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus. Und mit den ersten zugelassenen Impfstoffen konnten auch bereits Erfolge erzielt werden. Mehr Info

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COVID-Forscher Josef Penninger

Prof. Dr. Josef Penninger, Leiter des Life Sciences Institute an der University of British Columbia und COVID-Forscher, spricht sich dafür aus, mutige Entscheidungen zu treffen und Förderungen nicht mit der Gießkanne auszuschütten. Alle Videos zum Thema in der Playlist „Ohne Forschung kein Fortschritt“ im FOPI YouTube-Kanal