FOPI.flash Mai 2023

In dieser Ausgabe

analysis-2030261 (Konstantin Kolosov auf Pixabay)

Editorial

Von Worten und Taten

Das FOPI will gemeinsam mit allen Stakeholdern die Zukunft des Gesundheitswesens in Österreich mitgestalten – um so sicherzustellen, dass lebensverändernde Therapien und Lösungen ihr volles Potenzial entfalten und das bestmögliche Ergebnis für Patient:innen und Gesellschaft bieten.

Im Rahmen des FOPI “Think and Do Tanks” kommen wir mit unterschiedlichen Stakeholdern laufend ins Gespräch und versuchen gemeinsam eine vertrauensvolle Basis zu schaffen, um möglichst konkrete Ansatzpunkte festzumachen, wie wir gemeinsam ins Tun kommen. Denn allgemein gehaltene Absichtserklärungen gibt es bereits genug.

So haben wir auch das Austrian Health Forum im Mai dazu genutzt, Ideen und Visionen zu sammeln, nötige Reformschritte kritisch zu hinterfragen und nicht locker zu lassen. Nun geht es darum, gemeinsam entwickelte Lösungen umzusetzen – im Interesse der Patient:innen, denen wir uns verpflichtet fühlen.

Anthea Cherednichenko und Michael Kreppel-Friedbichler
Präsidium des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)


© Klaus Ranger

Vorschläge und Visionen

Bausteine für das neue „Haus Gesundheitssystem“

Das Gesundheitssystem ist in seinen Strukturen in die Jahre gekommen und die Erneuerung steht für alle Beteiligten außer Frage. Welche Maßnahmen – oder Bausteine – es konkret braucht, diskutierte das FOPI beim Austrian Health Forum in Schladming.

„Stellen wir uns vor: Unser Gesundheitssystem ist ein Haus, das vor 70 Jahren gebaut wurde …“ So beginnt ein Video, das zu Beginn des diesjährigen Austrian Health Forum in Schladming gezeigt wurde – und ist tatsächlich ein gutes Sprachbild. Jedem leuchtet ein, dass einem alten Haus moderne Technik und Infrastruktur fehlt, dass die Substanz vielleicht schon Risse zeigt, dass Räume und Ressourcen zur Bauzeit anders genutzt wurden. Ähnliches gilt für das heimische Gesundheitswesen, und so wie man ein derart in die Jahre gekommenes Gebäude von Grund auf sanieren würde, braucht es grundlegende Maßnahmen, um das System zu erneuern, das die Gesundheit aller österreichischen Bewohner:innen erhält.

Darin sind sich die meisten Stakeholder im Gesundheitswesen einig. Wo man mit den Bauarbeiten ansetzt, wie das sanierte Haus aussehen sollte und wer vor allem für die Kosten aufkommen soll, daran scheiden sich die Geister jedoch. Braucht es Reform oder Revolution? Und was wären die Bausteine, um unser “Haus Gesundheit” zukunftsfit zu machen?

Bauplan um die Patient:innen herum

Das FOPI hat das AHF genutzt, um die „Bausteine einer sinnvollen Reform“ zu benennen und zu diskutieren. „Wir haben dabei immer die Patient:innen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt“, betont FOPI-Generalsekretärin Ines Vancata, die federführend die Gespräche begleitet und im Forum widergespiegelt hat. „Denn in letzter Konsequenz muss das ‚Haus Gesundheitssystem‘ um die Menschen herum gebaut werden.“ Herauskristallisiert haben sich bei der Sammlung der Ideen, die plastisch auf riesige Bausteine geschrieben wurden, neun Schwerpunkte:

  • Gemeinsamfür eine Vision mit Patient:innen im Zentrum
    Eine weitreichende Einigkeit bestand bei den meisten Ideengeber:innen darin, dass das althergebrachte „Silo-Denken“ über Bord geworfen werden muss und ein ehrlicher Wille zum gemeinsamen Gestalten notwendig ist.
  • Innovationsgeist und Innovationskompetenz
    Unübersehbar häufig wurde Mut zur Innovation und zu neuen Lösungen eingefordert. Ebenfalls wichtig scheint Transparenz.
  • Prävention und bessere Versorgungsstrukturen im niedergelassenen Bereich
    Als einen der wichtigsten Bereiche will man Prävention und Primärversorgung stärken. Dafür braucht es neue Finanzierungsmodelle für eine integrierte Versorgung, so der Tenor, und so mancher stimmte dafür, das Budget dafür deutlich zu erhöhen.
  • Digitalisierung
    Digitalisierung ist bei der Modernisierung des Hauses unverzichtbar. Konkret angeführt wurde etwa eine österreichweite e-Health-Strategie und Umsetzung (inkl. der entsprechenden Finanzierung), die den Patient:innennutzen im Vordergrund hat. Beispielhaft ergänzt wurden die Erstattung digitaler Gesundheitsanwendungen (sogenannter DiGAs) oder die Ermöglichung von ELGA-Datenspenden.
  • Wertschätzung und Kompetenzen für Ärzt:innen und Gesundheitsberufe
    Um Patient:innen angemessen betreuen zu können, benötigt das Gesundheitswesen ausreichend Fachleute, und um die zu gewinnen bzw. zu halten, stehen eine Attraktivierung der Berufe und vor allem mehr Wertschätzung im Vordergrund.
  • Beteiligung
    Für die Umsetzung der Reformschritte ist Beteiligung das Schlüsselwort. Vor allem der Patient:innenbeteiligung kommt eine entscheidende Rolle zu, und wir sollten sie anerkennen und fördern. Folgerichtig müssen Patient:innen an gesundheitspolitischen Diskussionen und Entscheidungen vollwertig beteiligt sein.
  • Mut, Klarheit und Management bei den Entscheidungsträger:innen
    Klare Entscheidungsstrukturen und die nötige Verve legten die Ideengeber:innen den Entscheidungsträger:innen ans Herz. „Selbst Utopien können gesetzlich beschlossen werden“, war treffend auf einem Baustein zu lesen.
  • Neues Mindset – neue Umgangsformen
    Erfolgsentscheidend ist aus Sicht der AHF-Teilnehmer:innen letztlich jedoch ein neues Mindset, ehrliche Kommunikation und die Bereitschaft, zuzuhören sowie die Perspektive zu wechseln. Wenn wir tatsächlich etwas verändern wollen, müssen wir Beziehungen tragfähig machen und ins Tun kommen.
  • Vertrauen
    “Wir brauchen sichere Beziehungen, um unsichere Gespräche zu führen.” Dieses Zitat zeigt, dass wir gemeinsam – auch mit unterschiedlichen Sichtweisen – daran arbeiten, dass Utopie zur Realität wird.



© Harald Steiner

Take-aways

Wenn wir es ernst meinen …

Eine Reihe von Führungspersönlichkeiten der FOPI-Mitgliedsunternehmen waren Mitte Mai in Schladming beim AHF vor Ort. Ihre persönlichen Erkenntnisse finden sich hier gesammelt.

Die Themen Patient:innenvertretung und digitale Gesundheits-Apps haben beim AHF in Schladming großes Interesse geweckt und inhaltliche Fortschritte erzielt. Einige der anderen Themen und Herausforderungen im Gesundheitswesen – Komplexität des österreichischen Systems, nachhaltige Finanzierung, Mangel an Fachkräften im Gesundheitswesen – scheinen nahezu unüberwindbar, das bestätigte sich bei den zahlreichen Diskussionen mit Stakeholdern erneut. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass wir alle im Gesundheitswesen zusammenarbeiten, um gemeinsam strategische Lösungen für die Patient:innen in Österreich zu entwickeln. Es ist Zeit zu handeln!
Susanne Erkens-Reck, Roche

Ich habe das AHF als sehr wertwolle Veranstaltung kennengelernt. Quer durch die gesamte Branche haben taktschlagende Stakeholder über die Zukunft des Gesundheitssystems in Österreich diskutiert. Speziell aus dem Workshop-Setting kamen gute Ansätze dafür, über die auch am Abend in angenehmer Atmosphäre gefachsimpelt wurde. Ich bin gespannt, welche Ideen sich letztlich durchsetzen werden.
Julia Guizani, Sanofi

Nach zahlreichen Gesprächen im Rahmen des „Austrian Health Forum“ in Schladming nehme ich viele, ganz unterschiedliche Impulse und Gedanken mit: Zum einen müssen wir die Komplexität des Gesundheitssystems zum Wohle der Patienten anerkennen und gleichzeitig in Frage stellen. Zum anderen sollten wir die Digitalisierung als Chance sehen und uns in bestehenden Partnerschaften kompromisslos miteinander abstimmen, um das Leben der Patient:innen zu verbessern. Denn dafür sind wir da. Das AHF war definitiv eine gelungene Basis für die weitere Zusammenarbeit mit allen Beteiligten im Gesundheitsbereich, um das Leben der Patient:innen zu verbessern.
Kuntal Baveja, Novartis

Es sind sich alle Stakeholder einig, dass Veränderungen notwendig sind, um das österreichische Gesundheitssystem fit für das nächste Kapitel seiner Zukunft zu machen. Das wurde beim diesjährigen Austrian Health Forum deutlich. Positiv ist auch, dass wichtige Themen wie Patientenvertretung, stationäre vs. ambulante Versorgung und Präventionsmaßnahmen wie die Erwachsenenimpfung in den Diskussionen einen breiten Raum eingenommen haben. Wir freuen uns darauf, gemeinsam mit allen im Gesundheitswesen die nächsten mutigen Schritte zu setzen, um das Leben der Menschen in Österreich zu verbessern.
Neil Davidson, GSK

Das Austrian Health Forum ermöglicht mitten in der derzeit hitzigen Diskussion zu den großen Herausforderungen unseres komplexen Gesundheitssystems einen offenen, vertrauensvollen Dialog auf Augenhöhe aller relevanter Stakeholder. Die Frage, wie wir gemeinsam ein modernes und zukunftsfestes Gesundheitssystem gestalten können, ist komplex und wird jedes Jahr drängender. Besonders wertvoll empfand ich im heurigen Jahr, dass die Patient:innen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt der konstruktiven Diskussion gerückt wurden. Gerade in den Workshops, beispielsweise zu Patient:innenbeteiligung oder den wachsenden Herausforderungen der onkologischen Nachsorge, wurde es sehr konkret: Es wurden gemeinsame Ziele definiert bzw. Wege zu deren Erreichung aufgezeigt und kurzfristige Action Points vereinbart, wie jeder Beteiligte in seinem unmittelbaren Umfeld einen wertvollen Beitrag leisten kann.
Leif Moll, Merck

Bei der gemeinsamen Beschreibung der Herausforderungen herrscht bereits große Einigkeit. Wichtig ist jetzt, dass wir basierend darauf gemeinsame Ziele definieren, die positive Energie des Forums mitzunehmen und konkret daran arbeiten, das österreichische Gesundheitssystem weiterzuentwickeln. Wir wollen hohe Qualität in der Versorgung, Innovationen, ob bei seltenen Erkrankungen oder Volkskrankheiten, schnell zu den Patient:innen bringen und einen Weg für digitale Gesundheitsanwendungen ebnen. Jetzt ist die Zeit, konkret und gemeinsam daran zu arbeiten unser Gesundheitssystem “fit für die Zukunft“ zu machen und darauf zu schauen, dass die Patient:innen immer im Mittelpunkt unseres Tuns sind.
Michael Kreppel-Friedbichler, Biogen


Zahl des Monats

6.147

innovative Arzneimittel befanden sich laut dem IQVIA-Report „Global Trends in R&D 2023“ mit Ende 2022 in der Forschungs- und Entwicklungs-Pipeline. Das entspricht einem Wachstum von 49 % seit 2017 und ist ein unmissverständlicher Beleg für die Innovationskraft der Pharmaindustrie. Der Schwerpunkt an Produkten, an denen mit Hochdruck geforscht wird, liegt mit einem 38 %-Anteil auf der Onkologie. Ebenfalls stark ist aber auch die Neurologie mit 11 %.

Quelle: Global Trends in R&D 2023, IQVIA Institute, Februar 2023 



© APA Fotoservice/Juhasz

Im Gespräch

Ingo Raimon: Lasst uns nicht den Anschluss verlieren

Um das österreichische Gesundheitssystem fit für die Zukunft zu machen, muss man europäisch denken, man kann jedoch sehr wohl auch national handeln, meint der neue PHARMIG-Präsident Ingo Raimon. Er will sich daher dafür einsetzen, unser Land im europäischen Wettbewerb um Ressourcen als „Ort der Innovation“ zu platzieren. Außerdem fordert er im Interview mit FOPI.flash ein, bei allen Reformbestrebungen die Patient:innen ins Zentrum der Überlegungen zu stellen.

Mit 26. Mai 2023 haben Sie die Funktion als Präsident der PHARMIG von Philipp von Lattorff übernommen. Nach vielen Jahren als Präsident des FOPI und zuletzt als Vizepräsident der PHARMIG erneut eine Führungsrolle in einer Interessensvertretung der Pharmaindustrie. Was treibt Sie an, sich ehrenamtlich so einzusetzen?

Das österreichische Gesundheitswesen und mit ihm die heimische Pharmaindustrie stehen vor enormen Herausforderungen. Als jemand, der die Branche so lange und gut kennt, sehe ich mich geradezu verpflichtet, mich einzubringen. Die vergangenen Jahre haben das Gesundheitssystem enorm gefordert. Die Herausforderungen in der Arzneimittelversorgung werden nicht einfacher, zudem wirken europäische Entscheidungen nach Österreich wie selten zuvor im pharmazeutischen Bereich. Das steigert die Komplexität und so bin ich der Überzeugung, dass ich meine Erfahrung sehr gut im Zuge der Interessenvertretung auf Verbandsebene einsetzen kann.

Als Präsident des FOPI haben Sie sich für die Interessen der forschenden Industrie stark gemacht. Schlägt Ihr Herz immer noch für die innovativen Unternehmen? Wie wird es Ihnen gelingen, eine Balance herzustellen?

Wenn man sich die strategischen Prioritäten der PHARMIG ansieht, erkennt man rasch, dass es kaum divergierende Interessen gibt. Im Zentrum sollten immer die Patient:innen stehen, und deren Zugang zu bester Gesundheit – und Patient:innen brauchen mal die etablierten, lang am Markt befindlichen Arzneimittel, mal innovative Therapien. Selbst ein und derselbe Patient kann im Lauf seiner Krankengeschichte längere Zeit mit einem eingeführten Medikament gut durchkommen und später einen innovativen Ansatz benötigen, um Fortschritte zu erzielen oder eine Verschlechterung zu verhindern.

Auch gibt es viele weit verbreitete, mitunter harmlosere Erkrankungen, seien es Sportverletzungen oder einfachere Infektionen, die gut mit etablierten Medikamenten behandelt werden können. Bei vielen schweren, lebensbedrohlichen Erkrankungen oder chronischen Leiden sind wir aber gefordert, das Beste zu geben und neue Forschungserkenntnisse zum Einsatz zu bringen. Es muss also beides geben – und beides für die Patient:innen verfügbar sein.

Welche Akzente wollen Sie dementsprechend setzen? Und was sind Ihre dringendsten Themen?

Genau das – nämlich innerhalb des Gesundheitswesens deutlich zu machen, dass wir uns daran orientieren sollten, was die Patient:innen brauchen – und alles andere diesem Prinzip unterzuordnen. Als Verband werden wir uns somit für die bestmögliche Versorgung der heimischen Patient:innen mit Arzneimitteln einsetzen.

Außerdem ist es mir ein Anliegen, als Industrie geschlossen aufzutreten und ein klares Bild am Markt abzugeben. Dazu müssen wir uns intern eng abstimmen und „aufeinander kalibrieren“, um die Breite der Mitgliedschaft abdecken zu können.

Sie haben angekündigt, eine integrierte, nachhaltige und zukunftsorientierte Standortpolitik einzufordern. Was macht eine solche aus?

Der freie Zugang zur medizinischen Versorgung und die hohe Qualität der Leistungen der öffentlichen Sozialversicherungen sind sicherlich als sehr positiv zu bewerten. Persönlich schätze ich auch die unermüdliche Arbeit der Menschen in der Patient:innenversorgung – dieses Engagement ist großartig. Das Erstattungsverfahren von Arzneimitteln ist im Allgemeinen klar definiert und ermöglicht in Integriert, nachhaltig und zukunftsorientiert heißt im konkreten Fall, dass man Österreich nicht als „einsame Insel“ sieht, sondern eine ganzheitliche Sicht darauf hat. Unser Land steht als Standort für unsere Industrie im internationalen Wettbewerb, auch wenn manche das politisch nicht wahrhaben wollen. Wenn wir unser Gesundheitssystem zukunftsfit machen wollen, müssen wir deshalb sicherstellen, dass Österreich ein attraktiver Standort für Grundlagenforschung, klinische Forschung und Produktion bleibt. Das bedeutet, dass wir für die Erhaltung vorhandener Produktionskapazitäten und später vielleicht auch für die Rückholung weiterer Kapazitäten kämpfen müssen. Das bedeutet aber auch, dass wir die Bedeutung klinischer Studien für Österreich unterstreichen müssen. Sie bringen einen unschätzbaren Nutzen für das Gesundheitssystem, für die Ausbildung der Ärzt:innen, somit für die Spitzenmedizin und nicht zuletzt für die Patient:innen. Dafür müssen wir werben.

Heißt das im Umkehrschluss, dass dafür derzeit nicht genug Bewusstsein bei den Stakeholdern im Gesundheitswesen besteht?

Ja, leider ist die gesamtheitliche Sichtweise nicht immer gegeben, wobei ich zugutehalten möchte, dass viele Stakeholder in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen bestmögliche Arbeit machen wollen. Doch das bringt für eine integrierte Standortpolitik nicht immer das beste Ergebnis.

Die Kernfrage ist: Wie schaffen wir es, Österreich als Wirtschafts- und Pharmastandort – als Ort der Innovation – zu platzieren? Europa ist im Wettbewerb um Ressourcen gegenüber China, Indien und den USA schon klein genug und droht den Anschluss zu verlieren, vor allem bei der Forschung, aber auch bei der Zulassung neuer Therapien. Da macht es keinen Sinn, auf den „Schrebergarten Österreich“ zu schauen. Da gilt es, europäisch zu denken. Deshalb sehe ich es als unsere Aufgabe als Verband, laut und deutlich zu sagen: Lasst uns in Europa und in Österreich nicht den Anschluss verlieren, im Interesse unserer Bürger:innen.

Ein anderes Thema: Lieferengpässe und EU-Pharmagesetzgebung beherrschen die Diskussion in der Branche seit längerem. Ist vor diesem Hintergrund die Versorgungssicherheit in Österreich noch gewährleistet?

Noch ist die Versorgungssicherheit aus meiner Sicht gegeben. Aber wir haben ohne Zweifel Aufgaben zu lösen – und diese Themen sind nicht neu. Österreich hat sich durch gezielte Interventionen im Arzneimittelsektor seit Jahrzehnten zu einem Niedrigpreisland entwickelt. Das hat bewirkt, dass Produkte rasch exportiert werden und damit den heimischen Patient:innen nicht zur Verfügung stehen. Nun ist es die Verantwortung aller Stakeholder – und ich betone, nicht nur der Pharmaindustrie – neue Bedingungen zu schaffen.

Zur EU Pharma-Gesetzgebung kann ich nur sagen: Es liegt ein Paket auf dem Tisch, das von vielen Seiten diskutiert, adaptiert und verfeinert wird. Da ist noch viel Arbeit zu leisten, um sicherzustellen, dass bezüglich Forschung und Innovation Europa im geopolitischen Kontext zukunftsfit gehalten werden kann.

Abschließend, aus Ihrer Sicht als Branchenkenner: Wie wird der Wert von Arzneimittel-Innovationen hierzulande gesehen?

Da orte ich bedauerlicherweise eine gewisse Innovationsfeindlichkeit. Ein Beispiel: Neue Ideen werden nicht mit offenen Armen empfangen, sondern durch Preisabschläge bestraft. Es ist schließlich so, dass oftmals mehrere Unternehmen an einer therapeutischen Herausforderung forschen. Eines ist dann das erste, das auf den Markt kommt. Schon das zweite muss einen Abschlag von minus 10 Prozent in Kauf nehmen, das dritte nochmal dasselbe. Auch wenn sich die Ansätze in Darreichungsform, Nebenwirkungsprofil oder anderen Spezifikationen unterscheiden. Da herrscht scheinbar die Auffassung, ein Präparat sei genug. Damit wird aber verkannt, dass Ärzt:innen und Patient:innen, gerade bei chronischen Erkrankungen, oftmals therapeutische Optionen brauchen. Das ist ein systemischer Fehlansatz, und der erfüllt mich mit Besorgnis.


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Lebensverändernde Therapien

Innovationen für das Hereditäre Angioödem

Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine unheilbare seltene genetische Erkrankung, die wiederkehrende Schwellungen (Ödeme) an der Haut von Händen, Füßen und Gesicht, aber auch im Magen-Darm-Trakt, im Mund, den Atemwegen und manchmal auch an den Geschlechtsorganen und inneren Organen verursacht. Schwellungen, die die Atemwege blockieren, können lebensbedrohlich sein und innerhalb kurzer Zeit zum Erstickungstod führen. Aufgrund der Unberechenbarkeit dieser Erkrankung ist auch die Zeit zwischen den Schwellungsattacken extrem belastend für Betroffene. Bei einer innovativen Therapie kommt nun ein monoklonaler Antikörper zum Einsatz. Rund 70 % der damit behandelten Patient:innen waren in der offenen Verlängerungsphase der HELP Studie, welche 2,5 Jahre dauerte, über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten attackenfrei. Mehr dazu unter https://fopi.at/wir-sagen-danke/