SPC Debatte: Ein Schritt zu mehr Fairness im Markt?
Ein jährliches Plus von bis zu einer Milliarde an Netto-Ausfuhrverkäufen, bis zu 25.000 neue Arbeitsplätze und ein Anstieg der Handelsbilanz im Pharmasektor auf 6-10 Mrd. € waren für die Europäische Kommission Argument genug, um die erstmals 2015 in ihrer Binnenmarktstrategie angekündigte Neuausrichtung des Patent- und SPC-Schutzes (Supplementary Protection Certificates) voranzutreiben. Ursprünglich verabschiedet, um die Pharmaforschung in Europa zu halten, stand die 1992 lancierte EU-Verordnung nun 25 Jahre später wieder auf dem Prüfstand.
Die wirtschaftlichen Ziele waren ambitioniert. Man wollte in der EU ansässigen Herstellern von Generika und Biosimilars das Recht einräumen, Erzeugnisse mit SPC-Schutz für den Export in EU-Drittstaaten herzustellen und auf Lager zu legen. Mit dieser Initiative sollten auf Drittmärkten gleiche Wettbewerbsbedingungen für Hersteller innerhalb und außerhalb der EU geschaffen werden.
Das Europäische Parlament sprang auf den Zug auf, zumal es hoffte, damit die europäische Generika- und Biosimilar-Industrie fitter für einen („Tag-1“-)Markteintritt zu machen und der Öffentlichkeit einen schnelleren Zugang zu günstigeren Medikamenten zu gewährleisten. Kritische Stimmen, die diese Prognosen in Frage stellten, verhallten ebenso wie Bedenken hinsichtlich der möglichen negativen Auswirkungen einer derartigen Export-Ausnahmeregelung: Verminderung des (Re-)Investitionsvolumens in R&D in Europa, Abnahme der Rechtssicherheit und langwierige Rechtsstreitigkeiten.
Der Vorschlag der Kommission im Frühjahr 2018 brachte auf Ratsarbeitsgruppenebene alsbald zwei Lager: einerseits jene, die sich vehement für ein Ausweitung der Ausnahmen auf ein „stockpiling“ und SPC-freie Länder der EU aussprachen; andererseits jene Staaten, die im Waiver eine Enteignung und einen Anschlag auf die Rechtssicherheit im IP-Bereich sahen. Österreich bemühte sich in dieser Zeit um eine neutrale Vorsitzführung.
Der aktuelle Vorschlag des Rates, der nunmehr die Basis für die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament darstellt, beschränkt sich auf eine Exportausnahme. Rechtlich unumstritten ist der Text dennoch nicht. Zwar wurde die Lagerhaltung („stockpiling“) aus dem Anwendungsbereich der Verordnung gestrichen. Der Text bleibt jedoch recht vage, was die Begünstigten des Waivers betrifft.
Vage bleibt auch die Natur der verbundenen Handlungen („related acts“). Ein SPC ist ein territorial begrenztes Schutzrecht und entfaltet somit seine Schutzwirkung nur in jenem Land, in dem es erteilt wurde. Es ist daher unverständlich, warum in der letztgültigen Textfassung der Bezug zu anderen Mitgliedstaaten hergestellt wird und die Modalitäten für die Gültigkeit des Waivers in solchen festgelegt werden. Auch in der Frage der Notifikation der Behörden und des Rechteinhabers konnte bis zuletzt keine Einigung erzielt werden. Zwar wurde von den ursprünglich 28 Tagen abgegangen und eine Dreimonatsfrist für die Meldung vorgesehen. Doch die Inhalte der Notifikation wurden deutlich beschränkt. Rechtsfolgen für fehlende, falsche oder unzureichende Handlungen sind nicht vorgesehen. Auch die Maßnahmen, die Re-Importen vorbeugen sollen, gestalten sich wenig transparent. Zwar hat der Begünstigte des Waivers („maker“) sicherzustellen, dass der/das im Geltungsbereich des Waivers hergestellte Wirkstoff/Arzneimittel zumindest auf seiner äußeren Verpackung ein Logo trägt. Unklar bleibt jedoch der Zeitpunkt, wann dieses spätestens angebracht sein muss. Diese Unsicherheit erschwert es dem Rechteinhaber, sich auf dem Klageweg durchzusetzen.
Nicht unerwähnt soll auch die Frage des Eigentumsrechts bleiben: Wenn nun der Waiver mit 1. Juli 2022 in Kraft treten soll, steht diese Regelung in Konflikt mit dem EU-Grundrecht auf Eigentum. Denn durch den Waiver sind auch bereits erteilte Schutzzertifikate betroffen. Ein Entzug des Eigentums wird gemeinhin aber nur dann als gerechtfertigt angesehen, wenn ein solcher im öffentlichen Interesse steht. Ob ein solches besteht, wird von Experten bezweifelt. Letztendlich wird diese Frage vom Europäischen Gerichtshof zu klären sein.
Alles in allem zeigt sich, dass die Europäische Kommission mit großer Dringlichkeit versucht hat, komplexe Sachverhalte einer einfachen Lösung zuzuführen – und dass es auch auf Ratsarbeitsgruppenebene nur bedingt gelungen ist, die Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten zu beseitigen. Zu unterschiedlich waren die Interessen der Mitgliedstaaten. Letztendlich wird es also am Europäischen Gerichtshof liegen, für mehr Klarheit zu sorgen.
Gastkommentar von Dr. Maria Krenn, Stellvertreterin des Vorstandes des Österreichischen Patentamts und Leiterin der Geschäftsstelle Biopatent-Monitoring-Komitee