Klinische Forschung für und trotz COVID-19

Der Onkologe Matthias Preusser leitet eine der acht in Österreich laufenden klinischen Studien zu COVID-19. Sie ist auf die Prophylaxe für KrebspatientInnen fokussiert und viel beachtet. Im Interview mit FOPI.flash beleuchtet Preusser Chancen und Herausforderungen dieses Ansatzes, aber auch klinischer Forschung im Allgemeinen.

Herr Preusser, Sie sind Studienleiter einer klinischen Studie, die sich – grob gesagt – mit der Behandlung von KrebspatientInnen während einer Pandemie befasst. Worauf zielt diese Studie ab?

Wir versuchen mit der OnCoVID19-Studie herauszufinden, ob durch die prophylaktische Gabe von Azithromycin eine Infektion von KrebspatientInnen mit COVID-19 verhindert werden kann. Azithromycin ist ein an sich altbekanntes Antibiotikum, das nicht nur eine antibakterielle Wirkung hat, sondern auch immunmodulierende Aktivitäten zeigt. Deshalb haben wir diese einfach verblindete, randomisierte, Placebo-kontrollierte Phase-II-Studie bei uns an der Abteilung der MedUni Wien aufgesetzt und wollen 200 PatientInnen einschließen. Einschlusskriterien sind ein positiver histologischer Befund, eine laufende antineoplastische Therapie sowie ein negativer COVID-19-Test. Die Hälfte der PatientInnen erhält neben der unveränderten onkologischen Therapie ein Placebo, die andere Hälfte acht Wochen lang Azithromycin.

Wie entstand die Ursprungsidee, dass dieses Antibiotikum Wirkung zeigen könnte? Gab es bereits anderswo erste Erfahrungen damit?
Nein, nicht direkt. Es liegen zwar Vorarbeiten vor, und es verdichteten sich die Hinweise, dass Azithromycin in Zusammenhang mit Coronaviren vielsprechend sein könnte. Auf den Boden gebracht haben wir es aber bei uns an der Onkologie im AKH, was sicher auch damit zu tun hat, dass die Abteilung eine der größten Internistischen Onkologien Europas ist und wir aus anderen Studien umfassende Erfahrung mit dem Antibiotikum haben.

Wann rechnen Sie mit Ergebnissen?

Das ist schwer zu sagen. Wir haben bereits ein Viertel der definierten PatientInnenzahl eingeschlossen. Aber die Rekrutierung hängt letztlich von der Dynamik der Pandemie ab.

Mit welchen Herausforderungen sehen Sie sich in der Krebstherapie während einer Pandemie grundsätzlich konfrontiert? Man hört auch immer wieder von eingeschränkten Betreuungsmöglichkeiten oder Verzögerungen …
Wir können unseren PatientInnen zusichern, dass es keinerlei Einschränkungen bei den laufenden Therapien gibt. Aber natürlich mussten und müssen wir große Herausforderungen bewältigen, um die Sicherheit zu gewährleisten. Es ist doch ein ziemlicher Balanceakt zwischen dem maximalen Schutz vor einer COVID-19-Infektion und der optimalen onkologischen Versorgung. Dazu haben wir ausgeklügelte Maßnahmen und strenge Richtlinien entwickelt. So haben wir die Zahl der PatientInnen an der Abteilung reduziert, indem wir Nachsorgetermine und nicht dringende Kontrolltermine in den niedergelassenen Bereich verlagert haben. Darüber hinaus haben wir innerhalb des Mitarbeiterteams drei Kohorten gebildet, die einander nie begegnen. Wir haben unser Besprechungswesen komplett auf virtuelle Kanäle umgestellt, Isolationszimmer eingerichtet und Routinetests für MitarbeiterInnen sowie PatientInnen eingeführt. Und nicht zuletzt sahen wir uns auch gezwungen, mit Besuchern und Begleitern sehr restriktiv umzugehen. Das mag im Einzelfall oftmals schmerzlich sein, wofür wir auch großes Verständnis haben. Doch die Sicherheit geht vor. Wir müssen einfach sehr vorsichtig sein. Denn die Pandemie ist noch nicht vorbei.

Wo sehen Sie in der aktuellen Phase besondere Chancen, aber auch besondere Herausforderungen für die klinische Forschung in Österreich?

Vieles ist aktuell komplizierter. Das Studienmonitoring war etwa in der ersten Phase der Pandemie ausgesetzt, und das On-Site-Monitoring kann auch jetzt nur mit dem Nachweis eines negativen COVID-19-Tests zugelassen werden. Auch die gesamten Studienabläufe und die Logistik gestalten sich anspruchsvoll. Aber wir müssen alles dazu tun, um die klinische Forschung aufrechtzuerhalten und voranzutreiben. Sie allein ermöglicht, neue Therapieoptionen zu entwickeln und PatientInnen erstklassig zu betreuen.

Sehen Sie Gefahren für den Forschungsstandort Österreich?

Ich sehe für die gesamte klinische Forschung weltweit große Gefahren. Eine Limitierung der klinischen Studien durch die Pandemie wäre wirklich gefährlich. Wenn dadurch ein Gap entstehen würde, könnte uns das in vielen Bereichen massiv zurückwerfen. Österreich steht im internationalen Vergleich aber sehr gut da. Jedenfalls auf meinem Gebiet, im onkologischen Bereich. Wir haben die Ressourcen – wie gesagt, ist die internistische Onkologie der MedUni Wien eine der größten in Europa – und Österreich ist ein sicheres Land. Das bietet ausgezeichnete Rahmenbedingungen für klinische Studien.

Was würde es in diesem Zusammenhang dringend brauchen?

Benötigt wird eine sehr gute Kooperation aller Stakeholder der klinischen Forschung. Wir müssen gemeinsam sicherstellen, dass der gesamte komplexe Ablauf in allen Phasen klinischer Studien möglichst reibungslos und gleichzeitig unter Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen erfolgen kann. Dabei müssen hohe Standards an allen Schnittstellen gewahrt werden, da im Verlauf jeder klinischen Studie ja viele Kontakte stattfinden müssen, vom Probenversand bis zum On-Site Monitoring. Hier orte ich teilweise noch Abstimmungsnotwendigkeiten, die dringend angegangen werden müssen.

Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Matthias Preusser ist Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Internistische Onkologie. Nach einem einjährigen Studienaufenthalt an der University of Southwestern Louisiana (USL), Lafayette, USA., studierte Preusser Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien, wo er 2003 promovierte und seine Ausbildung zum Facharzt für Internistische Medizin begann.2009 habilitierte er auf dem Gebiet der Experimentellen Onkologie und 2016 auf dem Gebiet der Inneren Medizin. Seit 2018 ist er Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie, Universitätsklinik für Innere Medizin, an der MedUni Wien. Zudem hat er Leitungsfunktionen in internationalen Fachgesellschaften wie der European Society for Medical Oncology (ESMO) und ist Autor zahlreicher Studien und Fachartikel, Co-Autor der „World Health Organization (WHO) Classification of Tumours of the Central Nervous System”, stellvertretender Chefredakteur der internationalen Fachzeitschrift ESMO Open und Herausgeber eines Lehrbuchs für Innere Medizin. Matthias Preusser erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Förderpreise, darunter auch den Sibylle Assmus Förderpreis, Forschungsförderungspreise der Stadt Wien oder den Kardinal Innitzer Förderungspreis.