Wir Menschen brauchen Benefits für Prävention

Prävention wird von nahezu allen österreichischen GesundheitspolitikerInnen beschworen und findet sich explizit auch im aktuellen Regierungsprogramm wieder. Dennoch kommt die Prävention nach Meinung vieler ExpertInnen zu kurz.FOPI.flash sprach dazu mit Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe und bekannt als einer der Vordenker des Gesundheitswesens.

Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Prävention in Österreich bestellt?

Prävention ist prinzipiell ein schwieriges Thema für uns Menschen. Wir sind psychologisch so gestrickt, dass wir ungern in etwas investieren, das erst langfristig einen Effekt bringt. Wir wollen kurzfristige Benefits, und die liefert die Prävention nun einmal nicht. Denn was haben wir denn jetzt davon, wenn wir uns gesund ernähren, auf manches verzichten, nicht rauchen, wenig trinken?

Deshalb muss man aus meiner Sicht ganz massiv auf die Jugend setzen und frühzeitig mit Aus- und Fortbildung beginnen. Gesundheitsförderndes Verhalten muss der nachkommenden Generation in Fleisch und Blut übergehen und zu einer Selbstverständlichkeit werden. Dann haben wir nämlich auch eine Rückwirkung auf die ältere Generation – ähnlich wie in den 80er- und 90er-Jahren, als die Jungen die Älteren das Umweltbewusstsein gelehrt haben.

Der zweite Bereich, wo ich ansetzen würde, ist die betriebliche Vorsorge. Auch da kann man die Menschen gut erreichen, weil sie an ihrem Arbeitsplatz viel Zeit verbringen und ein Interesse haben, gemeinsam etwas zu bewegen.

Doch in beiden Bereichen haben wir zweifellos Aufholbedarf!

Sie appellieren mit diesen Überlegungen sehr stark an die individuelle und auch an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Sehen Sie Prävention nicht als Aufgabe der Gesundheitspolitik?
Nicht primär und nicht ausschließlich. Natürlich ist Prävention auch eine Aufgabe der Politik, aber mit einem „Health in all policies“-Zugang. Ganz entscheidend ist meiner Ansicht nach etwa die Bildungspolitik. Gesundheitsbewusstsein sollte sich wie ein roter Faden durch den gesamten Lehrplan ziehen.

Zusätzlich würde ich noch in einem anderen Bereich ansetzen, nämlich bei der Transparenz von Gesundheitsdaten. Bis vor zwei Jahren waren Statistiken über Erkrankungen ein Fremdwort in den täglichen Nachrichtensendungen, es war einfach kein Thema in der öffentlichen Diskussion. Mit Beginn der Pandemie wurde dann schlagartig über die Entwicklung von Infektionszahlen gesprochen, wir bekamen plötzlich Begriffe wie „Inzidenz“ oder „Inkubationszeit“ erklärt – und ruckzuck entwickelte sich ein Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung, das wir vorher nicht kannten.

Derartige hoch relevante Daten zu gesundheitlichen Faktoren wie Rauchen, Alkohol, oder ähnliches würde ich mir laufend wünschen.

Wo also sehen Sie besonderen Handlungsbedarf?

Ganz klar in der Bildung wie schon erwähnt. Aber auch in der Forschung. Denn wir wissen eigentlich nicht, wie man Menschen dazu veranlasst, sich gesundheitsbewusst zu verhalten. Und das ist entscheidend. Die Information über Einflussfaktoren ist das Eine, die Verhaltensänderung das Andere. Das könnte durch einen Forschungsschwerpunkt, vermutlich unter Beteiligung von Verhaltens-PsychologInnen, näher beleuchtet werden.

Warum aber passiert nicht mehr auf diesem Gebiet? Liegt es an den finanziellen Mitteln? Die öffentliche Hand wendet für Gesundheitsförderung und Prävention (ohne Rehabilitation) gerade einmal 3,3 Prozent der laufenden Gesundheitsausgaben auf.

Jein, ich denke, dass die Mittel falsch gelenkt werden. Wenn man langfristig denkt, könnte man Mittel von der Reparaturmedizin zur Prävention umschichten. Denn auf lange Sicht rechnet sich Prävention. Aber ich zweifle daran, dass bei unseren Entscheidungen die langfristige Perspektive immer im Vordergrund steht.

Was sind aus Ihrer Sicht Hürden, die man für eine wirkungsvolle Präventionsstrategie beseitigen müsste?

Da wären vermutlich viele Dinge wichtig. Sinnvoll wäre es jedenfalls, die Digitalisierung zu nützen. Wenn man bedenkt, dass Menschen durch präventives Verhalten keinen unmittelbaren Vorteil haben, könnte man bei Belohnungselementen ansetzen. Schrittzähler „belohnen“ aktive Personen mit positiver Bestätigung für das Erreichen des Ziels. Elektronische Diätpläne loben die NutzerInnen. Und Tools für AutofahrerInnen, die nicht während der Fahrt aufs Handy schauen, werden von Versicherungen als Basis für Prämienreduktion genützt. In diese Richtung könnte man verstärkt gehen.

Wenn Sie über Ihren Wirkungsbereich hinaus an entscheidender Stelle säßen: Was wären die ersten drei Maßnahmen, die Sie umsetzen würden?

Als erstes würde ich mit dem ORF als öffentlich-rechtlichem Rundfunk ein Format entwickeln, das zu bester Sendezeit regelmäßig und anschaulich über gesundheitsrelevante Fakten berichtet. Zweitens würde ich mit dem Bildungsminister nachdenken, wie Health Literacy durchgängig im Lehrplan verankert werden könnte. Und drittens würde ich Präventionsziele sowie ein Budget definieren und einen Ideenwettbewerb starten. Institutionen und auch Einzelpersonen könnten Vorschläge machen. Die besten werden als Pilotprojekte realisiert und danach im Idealfall breit ausgerollt.

Dr. Michael Heinisch ist Vorsitzender der Geschäftsleitung der Vinzenz Gruppe.