PatientenvertreterInnen – Laien oder Experten?
Wir alle – Forschung, Sozialversicherung, Medizin, Politik und Pharmaindustrie – arbeiten FÜR erkrankte Menschen. Wir alle setzen viel Energie und Engagement ein, um Krankheiten zu behandeln, zu heilen und Lebensqualität zu verbessern. Aber wie können wir noch besser auch MIT Betroffenen arbeiten?
Dieser viel diskutierten Frage hat sich der am 19. März stattgefundene Round Table zum Thema „PatientenvertreterInnen als FachexpertInnen – No-Go oder Notwendigkeit?“ angenommen – ausgehend von einer Umfrage unter PatientenvertreterInnen und LeiterInnen von österreichweit tätigen Patientenorganisationen, durchgeführt im Spätherbst des letzten Jahres. Das Ergebnis zeigt: Patientenorganisationen sehen den Zugang zu ausreichender und konkreter medizinischer Fachinformation als notwendige Basis ihrer Arbeit. Diesen bekommen sie in Österreich aufgrund des Laienwerbeverbots für verschreibungspflichtige Arzneimittel aber nur eingeschränkt oder gar nicht. Zumindest offiziell. Die Realität sieht zum Teil anders aus.
„PatientenvertreterInnen sind keine ÄrztInnen, gerade deswegen wäre das Angebot einer qualifizierenden Fortbildung wichtig – die Nachfrage dazu gibt es!“
Viele PatientenvertreterInnen sind in internationale Projekte eingebunden und recherchieren detaillierte Informationen im Internet. Ein Beispiel: Kürzlich kontaktierte mich ein Patientenvertreter mit konkreten Rückfragen zu einer klinischen Studie zu einem unserer Präparate. Mir war bis dahin nicht bekannt, dass das Produkt für diese Indikation überhaupt untersucht wurde. Und auch die zuständige Fachabteilung musste erst Recherchen anstellen. Das Ergebnis: Die US-amerikanische Studie wurde zwar von unserem Unternehmen finanziell unterstützt, aber nicht initiiert – wir waren somit auch nicht aktiv involviert. Kurzum: Der Patientenvertreter hatte uns einiges an Wissen voraus. Aber ist der indirekte Weg durchs Internet der richtige?
Wir, die Pharmaindustrie, glauben nicht. Betroffene, die als PatientenvertreterInnen arbeiten, sich medizinisches Wissen aneignen und fachlich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, sind ExpertInnen für ihre Erkrankung. Sie können auf Augenhöhe mit anderen ExpertInnen auf ihrem Gebiet aus Sozialversicherung, Politik, Forschung und Medizin zur Lebensqualität und Verminderung des Leidensdrucks vieler Erkrankter etwas beitragen. Im Gegensatz zu anderen EntscheidungsträgerInnen haben sie aber nur beschränkt Zugang zu relevanten Informationen – weil sie medizinische „Laien“ sind (wie übrigens auch viele MitarbeiterInnen im Gesundheitssystem).
„Therapien müssen einen tatsächlichen Mehrwert für die Betroffenen darstellen und niemand kann das besser beurteilen als sie selbst.“
Natürlich sind PatientenvertreterInnen keine ÄrztInnen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass recherchierte Information richtig interpretiert werden kann. Qualifizierende Schulungen, zum Beispiel angelehnt an das System des Gemeinsamen Bundesausschuss in Deutschland, würden dieses Verständnis ermöglichen und könnten mit einer Legitimation zu Informationszugang verknüpft sein. Auch die durchgeführte Umfrage zeigt, die Nachfrage dazu besteht: 80 Prozent der Patientenorganisationen wünschen sich mehr Wissen in Bereichen wie Interpretation von Studienergebnissen und Erfassen der statistischen Aussagekraft von Studien. Deutschland geht beim Thema PatientInnenmitbestimmung so weit, dass qualifizierte PatientenvertreterInnen bei der Erstattung von medizinischen Leistungen durch die Krankenversicherung mitentscheiden.
Ist das sinnvoll? Sollen PatientenvertreterInnen bei den Behandlungen, die sie persönlich betreffen, mitbestimmen können? Unserer Meinung nach ja! Betroffene sind ErfahrungsexpertInnen – für ihre Krankheit und für die entsprechende Behandlung. Wir glauben an den essentiellen Beitrag von PatientenvertreterInnen im österreichischen Gesundheitssystem: Therapien müssen einen tatsächlichen Mehrwert für die Betroffenen darstellen – und niemand kann das besser beurteilen als sie selbst. Lebensqualität, Nebenwirkungen und Nutzen-Risiko-Verhältnis werden von Erkrankten meist anders bewertet als von ForscherInnen, behördlichen MitarbeiterInnen, politischen Entscheidungsträgern oder ÄrztInnen. Daher meinen wir, dass es für eine breitere Betrachtung wichtig wäre, die Erfahrungsexpertise Betroffener stärker in Entwicklung, Anwendung und Erstattung von Therapien einfließen zu lassen – wie die Expertise aller anderen ExpertInnen auch.
Detaillierte Ergebnisse der Umfrage finden Sie hier.
Mag. Bernadette Keusch ist Patient Advocacy Manager bei Takeda Austria und Leiterin des Joint Standing Committees „Patient Advocacy” von FOPI und PHARMIG