FOPI.flash Juni 2022

In dieser Ausgabe

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Editorial

Bleiben wir im Gespräch!

Das österreichische Gesundheitssystem muss reformiert werden. Darüber sind sich nahezu alle Entscheidungsträger:innen, Expert:innen, Kommentator:innen und Politiker:innen einig. Über das Wie werfen wir uns aber via Medien, Stellungnahmen und Diskussionsrunden die Positionen an den Kopf. Und es scheint, als lägen diese Positionen oftmals meilenweit auseinander.

Spricht man im kleinen Kreis, findet man überraschenderweise schnell Übereinstimmungen – und sei es nur über den Weg zu einem Konsens. Man sollte sich an einen Tisch setzen und gemeinsam Lösungen entwickeln, ist häufig der Tenor.

Ein weiterer, mindestens ebenso selbstverständlich scheinender, in Wahrheit aber bahnbrechender Vorschlag, den wir erst kürzlich gehört haben: Wir sollten eine öffentliche gesellschaftspolitische Diskussion führen, wofür im österreichischen Gesundheitssystem Geld ausgegeben wird bzw. werden soll. Nur wenn wir darüber Einigkeit erzielen, kann eine Reform gelingen.

Das FOPI bleibt dazu im Gespräch!

Bernhard Ecker, Anthea Cherednichenko und Michael Kreppel-Friedbichler
Präsidium des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)


Foto von Zsolt Marton

© SVS/Zsolt Marton

Im Interview

Peter Lehner: Gesundheit ist Mannschaftssport

Für ein zukunftsweisendes, modernes Gesundheitssystem braucht es eine mutige und klare Digitalisierungsstrategie, ein hohes Maß an Eigenverantwortung sowie den Wandel vom Reparatursystem zu einem Präventionssystem, meint Peter Lehner, Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger und Obmann der Sozialversicherung der Selbständigen, im Interview mit FOPI.flash. Für die Verwirklichung dieses Ziels hat aus seiner Sicht jede/r seine/ihre Rolle, denn Gesundheit ist für ihn Mannschaftssport.

Ganz generell gesprochen: Wie kommt die SVS durch die aktuell krisenhaften Zeiten? Pandemie, Ukraine-Krieg und Energiewende fordern vermutlich ihren Tribut …

Es wurde drei Jahrzehnte über eine Sozialversicherungsreform diskutiert. Die Sozialversicherung war eine Dauerbaustelle, die Südosttangente der Innenpolitik. Mit der Reform sind wir in eine vollkommen neue Ära gestartet. Die neue Sozialversicherung ist ein echter High Performer. Zwei Monate nach dem Start wurden wir mit der größten Gesundheitskrise der letzten 100 Jahre konfrontiert. Das war die Feuertaufe für die Sozialversicherung und die SVS. Die gute Nachricht: Wir haben diese Feuertaufe souverän bestanden. Ich bin besonders stolz darauf, dass wir nicht nur die Leistungen jederzeit sicherstellen konnten, wir haben sie vielfach in dieser fordernden Phase ausgebaut und wir haben das System zukunftsweisend weiterentwickelt. Die Sozialversicherung war Partner in der Krise für seine Versicherten und die Bundesregierung und konnte etwa mit der Einführung des E-Impfpasses einen wesentlichen Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung leisten. Zudem wurden neue Projekte für die Zukunft entwickelt: zum Beispiel mit dem E-Rezept, das den gesamten Rezept-Prozess, von der Verordnung über das Einlösen bis hin zur Abrechnung digitalisiert.

Die Kosten des Gesundheitssystems steigen, auch wenn über die Ursachen trefflich gestritten werden kann. Viele fordern dennoch Investitionen ins System, um den künftigen Herausforderungen zu begegnen – etwa in die Digitalisierung. Als Host der Konferenz des internationalen Verbands der Krankenversicherungen haben Sie das Thema “One Click to Health and Social Insurance” präsentiert. Wie kann man die Kosten im Rahmen halten und dennoch investieren?

Wir sehen in unseren Bilanzen sehr genau, wo die Kosten steigen. Die Ursachen dafür sind vielfach auch offensichtlich. Die Lösung ist simpel und fordernd zugleich. Unser Ziel ist ein effizientes, zukunftsweisendes und modernes Gesundheitssystem. Dazu braucht es zum einen eine mutige und klare Digitalisierungsstrategie und dessen Akzeptanz bei den Stakeholdern sowie ein hohes Maß an Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Dazu brauchen wir den Wandel vom Reparatursystem zu einem Präventionssystem. Wer bestmögliche Versorgung will, muss investieren. Investieren ist nicht wahllos Geld ausgeben, sondern zielgerichtet an zukunftsweisenden Lösungen arbeiten.

Sie denken – hört man immer wieder – auch an neue Finanzierungsmodelle. Was schwebt Ihnen da konkret vor?

Die Finanzierungsmodelle in der Sozialversicherung stehen nicht zur Diskussion. Eine Diskussion über unterschiedliche Erstattungsmodelle wird über den gesamten Globus geführt. Wir müssen die Gesundheitssysteme vor einer Kostenexplosion bewahren, gleichzeitig möchten wir, dass innovative Arzneimittel und neue Behandlungsmethoden für unsere Versicherten zugänglich sind. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns aktuell. Jeder Stakeholder muss hier seine Verantwortung nehmen. Schlussendlich profitieren alle davon, wenn das System finanzierbar bleibt.

Das FOPI tritt für einen Dialog aller Stakeholder ein, um sich Lösungsansätze nicht via Medien an den Kopf zu werfen, sondern gemeinsam zu entwickeln. Sind Sie dafür offen?
Für mich ist Gesundheit Mannschaftssport. Jeder hat seine Rolle: die Patient:innen, die Ärzt:innen, die Apotheker:innen, die Therapeut:innen, die Pharmaindustrie und die Sozialversicherung. Es ist nicht „der Staat“ für alle verantwortlich, aber genauso wenig dürfen nicht die Patient:innen auf sich allein gestellt sein. Es gibt eine Eigenverantwortung ebenso wie Rechte. Das muss im Einklang erfolgen. Nur so kann ein solidarisches System im 21. Jahrhundert funktionieren.

Wo sollte man aus Ihrer Sicht als erstes ansetzen?

Eines der wichtigsten Prinzipien ist für mich die Transparenz. Transparenz spielt in vielen Belangen eine Schlüsselrolle. Transparenz schafft Wissen, und Wissen schafft Vertrauen. Wir können nur auf einer guten Vertrauensbasis partnerschaftlich kooperieren.

Das FOPI hat zwei Themen besonders in den Fokus genommen: Prävention und Arzneimittelbewertung. Was müsste man nach Ihrer Meinung im Bereich der Prävention verbessern?

Prävention ist die Antwort auf viele Probleme – das gilt für den Einzelnen wie für das System. Wir haben ein Reparatur-System. Das ist meines Erachtens der falsche Ansatz im 21. Jahrhundert. Wir brauchen ein Präventionssystem. Die Digitalisierung kann der Turbo des Wandels sein. Und die Menschen brauchen eine höhere Gesundheitskompetenz und müssen ihre Eigenverantwortung leben. Die eigene Gesundheit muss, müsste und sollte für jeden vorrangig sein.

Und was fällt Ihnen zu Arzneimittelbewertung ein?

Hier heißt auch die Antwort Datennutzung. Eine Arzneimittelbewertung kann heute ganz anders erfolgen, als vor wenigen Jahren oder Jahrzehnten, weil wir viel leichter Daten erfassen, sammeln, vernetzten und auswerten können. Das ist für mich die Grundlage. Mit einer umfassenden Arzneimittelbewertung kann künftig viel zielgerichteter gearbeitet werden.

Peter Lehner ist seit 1. Jänner 2020 Obmann der neuen Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) und seit 14. Jänner 2020 Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger.  1969 in Wels geboren, war Peter Lehner zuvor Obmann-Stellvertreter der Pensionsversicherungsanstalt (PV) und Mitglied der Trägerkonferenz des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger.


Pharmaceutical conception with colorful drugs on euro notes

© Freepik

Zahl des Monats

Stabil bei rund 15 %

liegt der Anteil der Arzneimittel an den gesamten Gesundheitsausgaben im Durchschnitt in Europa. So lautet die klare Antwort des Marktforschungsunternehmens IQVIA auf die Frage: Sind Medikamente bezahlbar für die europäischen Gesundheitssysteme? In der „Pharmaceutical Strategy for Europe“ heißt es nämlich, dass Medikamentenkosten „eine zunehmende Herausforderung für die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten“ seien. Dass Medikamente mitnichten die Kostentreiber, sondern vielmehr über Jahre hinweg stabil sind, konnte IQVIA mit einer Analyse der Daten aus 15 europäischen Ländern nachweisen. Die Ausgaben für Pharmazeutika als Anteil an den gesamten Gesund­heitsausgaben waren in allen untersuchten Ländern über die vergangenen 20 Jahre stabil. Je nach Land lag der Anteil zwischen 8 und 24 Prozent. In Österreich betrug er zuletzt 13 Prozent (Quelle: Pharmig, Daten & Fakten 2021).

Quelle: IQVIA, Understanding Net Pharmaceutical Expenditure in Europe



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© accelent communications

Podcast

Am Mikro|skop – Klinische Forschung als unverzichtbarer Prüfstein

Klinische Forschung ist im Zuge der Pandemie ins Scheinwerferlicht gerückt. Was vorher nur Insider beschäftigt hat, ist plötzlich für jedermann interessant geworden. Doch wie funktioniert klinische Forschung? Ist sie bloß der qualitative Prüfstein für neue Medikamente oder trägt sie maßgeblich zur Entwicklung neuer Ansätze bei? Wie sind die Rollen bei klinischen Prüfungen verteilt? Und: Gibt es genug klinische Forschung in Österreich? Diese Fragen diskutiert Moderatorin Martina Rupp in der zwölften Episode von Am Mikro|skop mit Dr. Barbara Tucek, AGES Medizinmarktaufsicht, Leiterin der Abt. Klinische Begutachtung für Humanarzneimittel im zentralen Verfahren und wissenschaftliche Beratung, und Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Markus Zeitlinger, MD, Leiter der Abteilung für klinische Pharmakologie an der MedUni Wien. Diese und alle anderen Episoden des – gemeinsam mit dem Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) und Chemiereport/Austrian Life Sciences produzierten – Podcasts finden Sie hier: www.chemiereport.at/am-mikroskop


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© Daiichi Sankyo

Wordrap

Karin Hock: Klinische Studien sind oft die letzte Rettung

Die Einbindung in klinische Studien stellt für viele schwer erkrankte Patient:innen – etwa in der Onkologie – den letzten Hoffnungsschimmer dar. Deshalb ist klinische Forschung für Karin Hock, Country Medical Manager Oncology bei Daiichi Sankyo in Österreich, unverzichtbar. Doch dazu müsste vor allem etwas dafür getan werden, um die talentiertesten Ärzt:innen in Österreich zu halten, meint sie im FOPI Wordrap.         

Was fasziniert Sie an klinischer Forschung?

Viele Patient:innen in Österreich warten dringend auf eine rettende Therapie, gerade im onkologischen Bereich. Für mich ist es immer wieder erfüllend, diese Menschen im Rahmen klinischer Studien zu betreuen und ihnen Hoffnung zu geben. Selbst wenn es nicht um Heilung, sondern „nur“ um Lebensverlängerung geht.

Was heißt klinische Forschung in Österreich für Sie?

Klinische Studien sind für viele Patient:innen die sprichwörtliche letzte Rettung, weil trotz vieler Vortherapien die Erkrankung voranschreitet oder nichts mehr hilft. Und solche schwer erkrankten Menschen gibt es in jedem Land, auch in einem kleinen Land wie Österreich.

Spielt Österreich in der internationalen klinischen Forschung mit oder verlieren wir den Anschluss?

Derzeit sind wir noch vorn dabei, denn wir haben exzellente Expert:innen und Studienzentren. Aber ich weiß, dass die Studienzentren über zu wenig Nachwuchs und Personalmangel klagen. Das könnte dazu führen, dass wir den Anschluss verlieren.

Wo sind die Pain-Points der klinischen Forschung in Österreich?

Wir haben hierzulande eine hervorragende Ausbildung. Doch es ist oft schwer, die guten Leute im Land zu halten, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Weiters dauern die Genehmigungsverfahren für Studien in Österreich oft länger, wodurch dann manchmal das „Window of Opportunity“ schon geschlossen ist. Und nicht zuletzt fehlt es den Studienzentren teilweise an finanziellen Mitteln.

Was würden Sie benennen, wenn Sie drei Wünsche zur Verbesserung der Lage freihätten?

Ich würde mir erstens eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Studienzentren und Pharmaindustrie erhoffen. Ich wäre zweitens froh, wenn Österreich nicht als das „kleine Anhängsel von Deutschland“ gesehen werden würde, auf das man ggf. verzichten kann. Denn wir haben das Know-how für klinische Studien und können gerade durch die enge Vernetzung im Land Vorteile bieten. Und ich würde mir drittens wünschen, dass Nachwuchstalente gefördert und den Expert:innen längerfristige Perspektiven geboten werden, um sie so in Österreich zu halten.

Karin Hock, PhD, ist seit Mai 2021 Country Medical Manager Oncology bei Daiichi Sankyo in Österreich. Davor war sie für Novartis Oncology tätig.