Therapeutische Medikamente gegen COVID-19 – Alte und neue Ideen in der Waagschale
Neben den vielen Projekten zur Entwicklung von Impfstoffen wird auch intensiv an Medikamenten gegen COVID-19 geforscht. Einerseits liegt dabei der Fokus auf Medikamenten, die bereits für andere Erkrankungen zugelassen sind und „umfunktioniert“ werden könnten (dem so genannten „Repurposing“). Andererseits arbeiten Unternehmen und Forschungseinrichtungen auch an neuen Arzneimitteln.
Die Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19 geht zwar mit nie gekannter Geschwindigkeit voran, und es sind so viele Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungszentren entstanden sind wie noch selten zuvor. Parallel dazu versuchen ForscherInnen aber auch, Medikamente zur Behandlung von COVID-19-PatientInnen zu finden. Im Fokus stehen insbesondere Arzneimittel, die schon gegen eine andere Krankheit zugelassen oder zumindest in Entwicklung sind. Sie umzufunktionieren kann schneller gelingen als eine grundständige Neuentwicklung. PharmaforscherInnen sprechen von einem „Repurposing“ der Medikamente. In einer wachsenden Zahl von Projekten wird aber auch versucht, neue Medikamente gegen COVID-19 zu entwickeln. Bei COVID-19 gehören diese Medikamente meist zu einer der folgenden vier Gruppen1:
- Antivirale Medikamente
- Dämpfende Immunmodulatoren
- Medikamente für die Lungenfunktion
- Herz-Kreislauf-Medikamente
- Medikamente gegen Long COVID
Bei den Therapien für PatientInnen mit COVID-19 ist zwischen zielgerichteten Therapeutika (antivirale Medikamente) und intensivmedizinischen Therapieansätzen (supportive care) zu unterscheiden. Zielgerichtete Therapeutika richten sich gegen virale oder auch humane Proteine oder zelluläre Prozesse, mit dem Ziel, den Vermehrungszyklus des Virus (Eindringen in die Zellen, Replikation in den Zellen, Freisetzung aus den Zellen) zu blockieren. Immunreaktionen sind bei Infizierten grundsätzlich erwünscht; sie dürfen nur nicht so exzessiv ausfallen, dass sie in der Lunge mehr Schaden anrichten als helfen. Deshalb sollen in mehreren Projekten überschießende Immunreaktionen bei schwer Erkrankten gedämpft werden.
Antivirale Medikamente
Viren können sich nur in Zellen vermehren. Antivirale Medikamente können deshalb auf mehrere Weisen die Virenvermehrung verhindern: Sie können die Viren abfangen, ehe sie in ihre Zielzellen eindringen; sie können den Vermehrungsvorgang in den Zellen blockieren, oder sie können die körpereigene Virenabwehr stärken, damit sie die Viren bekämpft. Beispiele1:
- Remdesivir (ursprünglich gegen Ebola-Infektionen entwickelt)
- Favipiravir (zunächst zugelassen für die Grippetherapie)
- Molnupiravir (ebenfalls zunächst für die Grippetherapie entwickelt)
- ATR-002 (ein Kinaseinhibitor und ebenfalls eigentlich gegen Grippe in Entwicklung)
- APN01 (aus der SARS-Forschung hervorgegangen)
- Camostat (ein Wirkstoff aus der Gruppe der Protease-Inhibitoren, der u.a. bei Entzündungen der Bauchspeicheldrüse eingesetzt wird)
- Interferone (bekämpfen Viren nicht direkt, sondern fördern die körpereigene Virenabwehr)
Anm. Eine ganze Reihe von Studien wurden auch mit dem zur Bekämpfung von Milben und parasitischen Fadenwürmern zugelassenen Wirkstoff Ivermectin durchgeführt. Doch die Ergebnisse waren uneinheitlich; oftmals zeigte sich kein therapeutischer Effekt. Die WHO und die EMA raten davon ab, Ivermectin außerhalb klinischer Studien einzusetzen.
Dämpfende Immunmodulatoren
Dämpfende Immunmodulatoren wurden z. B. gegen Rheumatoide Arthritis oder entzündliche Darmerkrankungen entwickelt. Sie sollen bei schwerem Lungenbefall die Abwehrreaktionen des Körpers so begrenzen, dass diese nicht noch mehr Schaden anrichten als die Viren selbst. Beispiele1:
- Tocilizumab
- IFX-1 (für die Behandlung verschiedener Entzündungskrankheiten in Entwicklung)
- Ravulizumab (zugelassen zur Behandlung der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie)
- Baricitinib (bisher gegen rheumatoide Arthritis zugelassen)
- Opaganib (als Krebsmedikament in Entwicklung)
- Acalabrutinib (hat eine Zulassung zur Therapie bestimmter Leukämien)
- Dexamethason (ein Cortison-Derivat mit bekannter antientzündlicher Wirkung)
- Leronlimab (ein Antikörper-Wirkstoff, der seit längerem gegen HIV und tripel-negativen Brustkrebs entwickelt wird)
- EDP1815 (gegen Autoimmunkrankheiten wie Schuppenflechte und atopische Dermatitis entwickelt)
Medikamente für die Lungenfunktion
Medikamenten für Lungenerkrankungen sollen verhindern, dass die Lunge der Patienten das Blut nicht mehr mit genug Sauerstoff versorgen kann oder sich nicht richtig reparieren kann. Das sind zum Beispiel1:
- Solnatide (gegen akutes Lungenversagen, ARSD, in Erprobung)
- FX06 (entwickelt zur Behandlung anderer Gefäßkrankheiten und nun gegen durch COVID-19 verursachte Undichtigkeiten in den Blutgefäßen der Lunge in Erprobung)
- Ifenprodil (gegen neurologische Krankheiten zugelassen; mit diesem Wirkstoff wird seit einiger Zeit ein Medikament gegen idiopatische Lungenfibrose entwickelt)
- Stickstoffmonoxid (in den USA zugelassen als Beimengung zur Atemluft im Fall einer künstlichen Beatmung, um so die Atemnot bei COVID-19-PatientInnen zu lindern)
Herz-Kreislauf-Medikamente
Herz-Kreislauf-Medikamente, die z. B. gegen Blutgerinnsel oder Herz-Rhythmus-Störungen entwickelt wurden, sollen Komplikationen durch eine COVID-19-Erkrankung verhindern. 1
- Rivaroxaban (ein Gerinnungshemmer, der gegen andere thrombotische Krankheiten zugelassen ist)
- Enoxaparin (ebenfalls ein Gerinnungshemmer)
- Dapagliflozin (zugelassen für die Therapie von Diabetes Typ 2) in Kombination mit
Ambrisentan (zugelassen zur Behandlung von pulmonaler arterieller Hypertonie) - Garadacimab (derzeit gegen hereditäres Angioödem in Entwicklung)
Sorgsame Prüfung
Die Frage ist bei all diesen Projekten nicht nur, ob die Medikamente gegen COVID-19 wirksam sind, sondern genauer, für welches Krankheitsstadium sie sich eignen. Medikamente, die im Frühstadium (leichte Infektion ohne Atemprobleme) hilfreich sind, könnten bei Patienten mit schwerer Lungenentzündung unwirksam oder sogar schädlich sein – oder umgekehrt. Manche Medikamente sind möglicherweise gar nicht therapeutisch einsetzbar, schützen aber eventuell Ansteckung.
Aktuell in der EU zugelassene Therapien im Management von COVID-19-PatientInnen2:
- Remdesivir
- Regdanvimab
- Toxilizumab
- Casirivimab und Imdevimab (REGN COV2)
- Anakinra
- Sotrovimab
- PF-07321332 / Ritonavir
Antrag auf Marktzulassung eingereicht2:
- Baricitinib
- Molnupiravir
Derzeit in Rolling review2:
- Tixagevimab und Cilgavimab)
Außerdem wird Konvaleszenten-Plasma untersucht: (Re-)Konvaleszenzplasma ist Plasma, das von PatientInnen gewonnen wird, die sich von einer COVID-19 Erkrankung bereits erholt haben, und kann an PatientInnen abgegeben werden, die an COVID-19 neu erkrankt sind. Es kann auch zur Herstellung von Immunglobulinkonzentraten verwendet werden. Die mögliche Erklärung für eine Wirksamkeit ist, dass die Antikörper aus dem Konvaleszenzplasma das Immunsystem des/der Erkrankten aktivieren könnten. Plasmaprodukte werden derzeit in zahlreichen klinischen Studien getestet. Im Februar 2021 revidierte die FDA ihre Emergency Use Authorization dahingehend, dass Rekonvaleszentenplasma nur mehr im frühen Stadium von hospitalisierten PatientInnen sowie mit Plasma mit hohem Titer verabreicht werden darf. 2

Laufende Updates zu den Projekten liefert u.a. der Tracker des US-amerikanischen Milken Institute3
Download des Factsheets als PDF
[1] Quelle: vfa. Die forschenden Pharmaunternehmen | www.vfa.de
[2] Quelle: EMA | COVID-19 treatments
[3] Quelle: Milken Institute | COVID-19 Treatment and Vaccine Tracker
[5] Quelle: WHO | “Solidarity” clinical trial for COVID-19 treatments